"Erlebnisorientierte Gruppenarbeit
in der Bewährungshilfe"
-
Beiträge der Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung -
Ahlberg,
September 1995 - Oktober 1997
Vorwort
Die Autoren dieses Readers haben von
September 1995 bis Oktober 1997 an dem Lehrgang "erlebnisorientierte
Gruppenarbeit in der Straffälligenhilfe zur Betreuung gewaltbereiter und
rechtsradikaler Jugendlicher " teilgenommen.
Veranstalter war das Forum Ahlberg im
Auftrag des HMdJuE. Die Lehrgangsteilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich
sowohl mit praktischen als auch theoretischen Aspekten von Gruppenarbeit
beschäftigt.
Die in diesem Reader zusammengefassten
Beiträge stellen eine Auswahl theoretischer Auseinandersetzungen mit dieser
Thematik dar.
Walter Untermann:
Geschichte und spezielle Aspekte der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe
Holger Scharf:
Theoretische Aspekte zu den Begriffen: Gewalt, Jugend und Subkultur
Holger Rebscher: Finden
von Zielen für persönliche Veränderungenmit Probandengruppen
Markus Weinandt: Acht
Thesen für die erlebnispädagogische Arbeit mit Probanden
Richard Lulay:
Erlebnispädagogik in der Praxis:5 Tage auf dem mittelfränkischen Camino
Walter
Untermann, Bewährungshelfer beim LG Frankfurt a. M.
Geschichte
und spezielle Aspekte der Gruppenarbeit in der
Bewährungshilfe
Zusammenstellung von Berichten aus den
Heften d. Bewährungshilfe ( Deutsche BwH e.V. Bonn)
Thema aus Heft 3 von
1972
Gruppendynamik in der
Bewährungshilfe von Dr. Edith Zundel Bonn
Thema aus Heft 3 von
1972
Gruppenbildung und
Selbsterfahrung von Dr. Ingrid Lukatis Nürnberg
Thema aus Heft 1 von
1974
Bundestagung der
Bewährungshilfe 1973
Arbeitskreis IV, ( Dr.
Ohlmeier, Ulm)
Erfahrungen mit
therapeutischer Gruppenarbeit
Thema aus Heft 1 von
1980
Bundestagung der
Bewährungshilfe 1979
Arbeitskreis V (Goldbrunner
/ Kastenhuber / Lippenmeier / Hinz)
Gruppenarbeit mit
Probanden als Mittel sozialen Lernens
Soziale Gruppenarbeit in
der BewährungshiIfe
- Aufbau einer
Regionalgruppe -
N. Lippenmeier, DBH Bonn
,1991
zu Thema 1, Projekt aus
Heft 3 von 1977
Projekt der Gruppenarbeit
mit Probanden der Bewährungshilfe
Arbeitskreis
Gruppenarbeit mit Delinquenten, Berlin
(u.a. mit BWH und
Forensische Psychiatrie u. Lippenmeier, Sagebiel)
Thema 2, aus Heft 2 von
1983
Problemorientierte
Gruppenarbeit mit Probanden der Bewährungshilfe.
--Der Beitrag des
Berliner Arbeitskreises zur überregionalen Institutionalisierung--
Lippenmeier / Sagebiel
(persönliche Kürzung
Dünkel/Spieß - Gruppenarbeit in der BWH der BRD- Freiburg 82)
Thema 3, aus Heft 1 von
1984
(Einzelbeitrag)
Berufsbegleitende
Fortbildung in problemorientierter Gruppenarbeit -- eine Chance für
Bewährungshelfer und Probanden
Auswertung der
persönlichen und berufspraktischen Effizienz des ersten Lehrgangs in
personenzentrierter, problemorientierter Gruppenarbeit für hauptamtliche
Bewährungshelfer
Günter Kastenhuber, BWH
Passau
Thema 4, aus Heft 4/82
von 1982
Bericht aus der Praxis
Gruppenarbeit aus
Co-Leiter-Sicht
v. Kurt Schäfer, Voerde
Thema 5, aus Heft 2 von
1983
Sozialpädagogische
Gruppenarbeit mit wiederholt auffälligen Verkehrsstraftätern in der
Bewährungshilfe als Alternative zum Strafvollzug
-Erster
Erfahrungsbericht - Arnold Hummel 1 Erika Ploch - BWH Berlin
Thema 6, aus Heft 3 von
1985
Gruppenarbeit mit
arbeitslosen Probanden in der Bewährungshilfe Hannover
Johanna v. Renner-Burka, Dipl.Soz.Päd. Hannover
Thema 7, aus Heft 2 von
1985
Erfahrungsbericht über
ein Freizeitseminar mit arbeitslosen Probanden von Nikolaus Steyer, BwHer in
Lünen
Thema 8 aus Heft 1 von
1990
Die Gruppensprechstunde
Genese einer praxisorientierten
Gruppenarbeit
J. Schendler / S.
Schwarz/ V. Sprenz ( BWH - Hannover)
Thema 9 aus Heft 1 von
1994
Muß die Bewährungshilfe
soziale Trainingskurse durchführen?
Dr. Andreas Hohendorf,
Richter am AG Höxter
Thema aus Heft 3 von
1983
Einige Überlegungen zur
(verhaltensanalytischen) Gesprächsführung in der Bewährungshilfe
Dr. Siegfried Grosse,
Linden
Thema aus Heft 4 von
1987
v. Sven Nachmann zum
Buch
Fiedler u.a.
Psycho-Verlag München
Gruppenarbeit mit
Angehörigen schizophrener Patienten
Thema aus Heft 4 von
1983
Familientherapie in der
Bewährungshilfe in interdisziplinärer Co. Therapie
Prof. Dr. Hans
Goldbrunner, Uni. Essen
Briefwechsel
Thema aus Heft 4 von
1992
Innovative Arbeit in der
Bewährungshilfe
Konzeptionsentwicklung
am Beispiel des Projektes -Alkoholmißbrauch und Straffälligkeit-
von Hilde Höll, Berlin
Stuttgart
Thema aus Heft 2 von
1993
Einzelarbeit contra
Gruppenarbeit
Reinhild PohI-Burbliess
Gedanken beim Lesen des
Artikels Frau Höll über Innovative Arbeit in der Bew.Hi. aus 4/92
Einleitung
In der Bewährungshilfe gibt es schon
lange Gespräche über Gruppen, Gruppenverhalten und Gruppenarbeit. Es ist auch
schon viel über diese Themen in der Zeitschrift der Deutschen Bewährungshilfe
Bonn e.V. geschrieben worden.
Es wird also seit mehr als 30 Jahren über
Gruppen in der Bewährungshilfe geredet und über Erfahrungen und Ideen und über
neue Modelle mit unterschiedlichen Schwerpunkten der Gruppenarbeit berichtet.
Auch wird in dieser Zeitschrift, also zur
Information aller Bewährungshelfer/innen, ein Dialog zwischen Kollegen/innen
geführt, die das Für und Wider einer Veränderung in ihrer Arbeitssituation
herausstellen.
Ich habe eine Zusammenstellung von
Berichten aus den Heften d. Bewährungshilfe (Deutsche BwH e.V. Bonn) gemacht.
Diese Berichte von Kollegen und Kolleginnen, die in der Zeit von 1974-1994
veröffentlicht wurden, geben meiner Meinung nach die beste Information über
Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe wieder.
Bevor ich mit der praktischen Arbeit mit
Gruppen begann, konnte ich mich mit Hilfe der Beiträge zum Thema Gruppenarbeit
in den Fachzeitschriften vertraut machen.
Da mir die praktische Arbeit zu diesem
Zeitpunkt besonders wichtig war, verzichtete ich an dieser Stelle bewußt auf
die Vertiefung der theoretischen Abhandlungen.
Die Diskussion über Gruppen ist also bei
uns schon lange im Gange, obwohl sie in den letzten Jahren von Themen, wie
,,Täter - Opfer - Ausgleich", ,,Schuldensanierung",
,,Datenschutz", ,,Einsatz von Kleinrechnern" und vielem mehr, in den
Hintergrund gedrängt wurde.
Durch das Vorstellen von
Erfahrungsberichten aus der Kollegenschaft möchte ich hier einen Einblick in
Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe geben.
Auch nach vielen Jahren haben diese
Berichte noch immer eine große Aktualität, auf die ich bei meiner praktischen
Arbeit mit Gruppen aufbauen konnte.
2.) Thema aus Heft
1 von 1974, DBH - Bonn
Bundestagung der BewH
1973, Ak IV (Dr. Ohlmeier, Ulm),
Erfahrungen mit therapeutischer Gruppenarbeit
Bereits auf der Bundestagung der Bewährungshelfer/innen
im Jahre 1973 befaßte sich ein Arbeitskreis mit dem Thema Gruppenarbeit in der
Bewährungshilfe. In dem von Dr. med. D. Ohlmeier zusammengefaßten Artikel wird
herausgestellt:
1. Gesellschaftliche und Guppenaspekte der
Delinquenz
2. Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sind
erforderlich um in diesem
Spannungsfeld arbeiten zu können
3. Ziel der Gruppenarbeit
4. Neue Möglichkeiten der Arbeit der
Bewährungshilfe und Strafvollzug.
Die Arbeitsgruppe hat unter 1. eine
Definition der Delinquenz erarbeitet. Hier wird sie als ,,Ausdruck einer
Pathologie der Gruppe im engeren Sinne (Familie) und der Gruppe im weiteren
Sinne (allgemeine Gesellschaft)" verstanden.
Ferner wird erwähnt Zitat : ,,BWH sind
Teil der Gesellschafts- und Gruppenstruktur, die zur Motivation des Täters,
quasi als ihr ausführendes Organ, beigetragen haben, andererseits ihm zu seiner
Sozialisation bzw. Resozialisierung verhelfen."
Daraus leiten die Arbeitsgruppen eine
mehrdimensionale Funktion des Sozialarbeiters in der Gesellschaft ab.
Ferner wurde erarbeitet, daß
fachspezifisches Wissen bei den Mitarbeitern unbedingt erforderlich ist, um
Gruppenbezüge des Klientels und der gemeinsamen Gruppensituation wahrnehmen zu
können.
Unter 3. hebt der Autor das Erkennen der
Gruppenabhängigkeit des Straftäters heraus (schichtenspezifische Faktoren der
Delinquenz). Ein gruppenorientiertes Arbeiten mit Inanspruchnahme von weiteren
Beteiligten, wie freiwilligen Helfern, wird vorgeschlagen.
Im letzten Teil dieses Textes wird der
Verlauf der Gruppe in diesem Arbeitskreis der Tagung beschrieben.
Es nahmen 60 Fachkräfte daran teil. Hier
wurde in einer Großgruppe gearbeitet, was auch zur Folge hatte, daß die
Teilnehmer aktiv in Gruppenabläufen mit ihren Ängsten und mit ihren Forderungen
nach Erfolg konfrontiert wurden.
Trotz der starken Gruppendynamik kamen
sie zur abschließenden Forderung, in der BWH eine Intensivierung der
gruppentherapeutischen Erfahrungen anzustreben.
Von den 60 Teilnehmer gaben hier 38 an,
mit und in Gruppen zu arbeiten, 12 hatten bereits eine spezielle Ausbildung für
Gruppenarbeit erworben.
3.)Thema aus Heft 1 von 1980, DBH - Bonn
Bundestagung der Bewährungshilfe 1979 Arbeitskreis V, (Goldbrunner /
Kastenhuber / Lippenmeier / Hinz)
Gruppenarbeit mit
Probanden als Mittel sozialen Lernens
In diesem Bericht der Bundestagung von
1979 hatte sich ein Arbeitskreis mit dem Thema Gruppenarbeit beschäftigt.
Die Verfasser des Artikels ( Goldbrunner,
Kastenhuber, Lippenmeier und Hinz) verweisen darauf, daß seit 20 Jahren über
Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe gesprochen wird, dies aber im Gegensatz
zur Praxis steht, da hier kaum davon Gebrauch gemacht wird.
Deshalb wurden strukturierende Angebote
vom Leitungsteam in dem Arbeitskreis gemacht, wie Organisation und methodische
Durchführung von Gruppenarbeit, systematische Reflexion, sowie die Bedingung
der Etablierung in der Institution.
An diesem Arbeitskreis nahmen 45
Fachkräfte teil, 38 davon waren Bewährungshelfer/innen, bereits 14 davon gaben
an, mit Gruppen in der Bewährungshilfe zu arbeiten.
Die Arbeitsschwerpunkte des AK waren:
,,Motivation der Probanden zur
Gruppenarbeit" Methoden und Inhalte in der Gruppenarbeit.
In dem Bericht wurde festgestellt, daß
das Motivieren von Probanden die wichtigste Frage ist und dies oft im
Verhältnis zur eigenen Motivation des Mitarbeiters steht.
Den Probanden mit richterlicher Auflage
zur Teilnahme in Gruppen zu bringen, wird als weniger erfolgversprechend
angesehen.
Durch die Attraktivität der Inhalte und
die Vorgehensweise des Mitarbeiters soll das Klientel geworben werden. Auch
soll auf positive Erfahrung des Klientels mit Gruppenarbeit, zum Beispiel im
Vollzug, zurückgegriffen werden.
Angeregt wurde ferner, unter Einbeziehung
des Klientels, über Möglichkeiten der Ausgestaltung der Bewährungszeit nachzudenken.
Gemeinschaftssprechstunden als Vorbereitung seien ratsam.
Bei der Diskussion über Methoden, zeigte
sich ein Bedürfnis der Teilnehmer an der Strukturierung von Gruppenarbeit. Es
wurden mehr Fachwissen und ein besserer
Erfahrungsaustausch gefordert.
Gruppenarbeit sollte keine zufallsgesteuerte
Intervention sein.
Als Muß in der methodischen Gruppenarbeit
wurden der Co-Leiter, Supervision,
Sitzungsprotokolle und
Auswertungsverfahren angeführt.
Da unterschiedliche Meinungen darüber
vorlagen, ob Freizeitaktivtät oder problemorientiertes Arbeiten in den
Vordergrund zu stellen wären, kam es in der inhaltlichen Ausgestaltung zu
keiner einheitlichen Aussage in diesem Arbeitskreis.
Es wird in dem Beitrag auf Veränderungen
in der Gruppenthematik hingewiesen, die oft von gemeinsamen Aktivitäten über
praktische Hilfen und Informationen zu einem starken ,,Wir"-Gefühl in der
problemorientierten Gruppenarbeit führt.
Die Autoren des Beitrags erwähnen, daß
durch das Diskussionsverhalten der Teilnehmer/innen in der Großgruppe ein
Wandel in ihrer Einstellung zur Gruppenarbeit gezeigt wurde. Sie vermuten
weiterhin eine stark zunehmende Zahl von Bewährungshelfer/innen, die
Gruppenarbeit mehr in ihre alltägliche Arbeit mit Klienten einsetzen werden.
4.)
Thema, aus Heft 3 von 1977, DBH - Bonn
Projekt der
Gruppenarbeit mit Probanden der Bewährungshilfe-
Arbeitskreis
Gruppenarbeit mit Delinquenten, Berlin (u.a. mit BWH und Forensische
Psychiatrie)
Die Fachzeitung Bewährungshilfe
veröffentlichte im Jahre 1977 einen Bericht aus der Praxis vom
"Arbeitskreis Gruppenarbeit mit Delinquenten, Berlin". Hier wurde der
Versuch von Bewährungshelfer/innen und Mitarbeiter/innen des Institutes für
Forensische Psychiatrie in Berlin im Jahre 1974 mit Probanden dargestellt.
Zielsetzung war, ein gemeinsames
methodisches Konzept für die Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe zu
erarbeiten.
Die Gruppe der Probanden in Berlin waren
jugendliche Straftäter. Diese hatten mehrheitlich ihre Straftaten in Gruppen
begangen. In der Probandengruppe sollten jetzt ein leichteres Lernen und Aufbau
von sozialen Bezügen erfolgen, sowie das Lösen von alten Normen, die bei ihnen
ja zur Straffälligkeit führten.
Die Bezugspersonen der Teilnehmer wurden
in die Arbeit der Vorbereitung zur Gruppenarbeit mit einbezogen.
Alkohol- und drogenabhängige Jugendliche
sollten nicht in diese Gruppe aufgenommen werden. Auch sollte bei den
Teilnehmern mindestens noch eine Unterstellung von 1/2
Jahr unter Bewährungsaufsicht bestehen.
Die Gruppe sollte 10 Teilnehmer/innen umfassen,
dazu der/die Bewährungshelfer/in und der/die Mitarbeiter/in des Institutes.
Für den äußeren Rahmen war ein
wöchentliches Treffen über 2 Stunden Dauer vorgesehen, das Verweilen in der
Gruppe sollte bei den Teilnehmern mit der laufenden Bewährungszeit identisch
sein.
Die Treffen sollten an neutralen Orten
stattfinden, wie z.B. in Freizeiteinrichtungen in den jeweiligen Stadtteilen
der Großstadt, um die Motivation und ein regelmäßiges Kommen zu erhöhen.
Für das methodische Vorgehen sollten die
Gruppenzusammenkünfte von den Mitarbeitern/innen stärker strukturiert werden,
z.B. durch vorbereitete Lernschritte und an der Gruppe orientierte Themen.
Aktuelle Themen Einzelner sollten zum Gruppenthema werden.
Durch die Machtstellung der
Bewährungshelfer/innen bestand in der Gruppe eine realitätsbedingte Distanz.
Mit Absicht legten die Betreuer großen Wert auf Gruppenverbindlichkeiten.
Die entwickelten Zielvorstellungen in der
Gruppenarbeit wurden mit der vorher abgeschlossenen langfristigen Planung
verglichen und abgestimmt.
Wegen der wissenschaftlichen Auswertung
durch das Institut wurde darauf geachtet, daß Vergleichsmöglichkeiten bei den
verschiedenen Gruppen untereinander bestanden. Es wurden standardisierte
Protokolle erstellt, die aber auch Arbeitsgrundlage für Supervision und
Gruppenreflexion waren.
Die von den Autoren dargestellten
Erfahrungen in diesem Bericht bezogen sich auf Gruppenarbeiten von 1974 und
1975.
Hier fanden in Berlin 7 Gruppen mit
durchschnittlich 4 - 6 Klienten bei 2 - 3 Mitarbeitern statt.
In der Anlaufphase der Gruppe gab es die
stärkste Fluktuation, in der späteren Arbeit zeigte sich dann die mangelnde
Erfahrung der Mitarbeiter/innen mit Gruppenarbeit. Deshalb wurde der Wunsch
nach speziellen Fortbildungsprogrammen geäußert.
Die Fluktuation wurde als besonders
wichtig herausgestellt und mit der Sympathie der Betreuer in Verbindung
gesehen. Der Gruppenverlauf wurde sehr stark durch die Auswahl der Klienten und
die unterschiedliche Betreuung durch die Mitarbeiter beeinflußt.
Dieser Arbeitskreis sieht in der
Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe eine effektivere Betreuung von Klienten
als bei der Einzelbetreuung. Eine Teilspezialisierung der/die Betreuer/in wird
empfohlen.
5.)
Thema, aus Heft 2 von 1983, DBH Bonn
Problemorientierte Gruppenarbeit
mit Probanden der Bewährungshilfe. - Der Beitrag des Berliner Arbeitskreises
zur überregionalen Institutionalisierung - Lippenmeier / Sagebiel
(persönliche Kürzung
Dünkel/Spieß - Gruppenarbeit in der BWH der BRD-Freiburg ‘82)
Von dem Autorenpaar wird ein Rückblick
auf die Veränderung bzw. Nichtveränderung der Arbeit innerhalb der
Bewährungshilfe dargelegt.
Bereits im Vorspann weisen sie darauf
hin, daß seit 1953 Bewährungshilfe existiert, Gruppenarbeit aber nur sporadisch
angewandt wird.
Sie bemängeln die qualitative
Ausgestaltung der Bewährungshilfe, die nicht mit der Erweiterung ihrer
Aufgabenfelder mitgehalten hat.
Sie führen an:
,,Bewährungshilfe erfordert eine differenzierte Diagnostik und Betreuung, deren
Weiterentwicklung vernachlässigt worden ist. Einzelhilfe .... ist die
traditionelle Betreuungsform, die im Hinblick auf Angemessenheit und
Wirksamkeit nicht mehr hinterfragt wird und zur Ideologie erstarrt scheint.
Die Verwaltung in der BWH zu
perfektionieren, entspricht einer allgemeinen organisationsspezifischen
Gesetzmäßigkeit von Institutionen. Bewährungshilfe entwickelt mit der Dauer
ihres Fortbestandes die Neigung, Bestehendes zu bewahren und Veränderungen ...
abzuwehren."
So ist es auch mit der Annahme von
Gruppenarbeit. Außer wenigen Versuchen von einzelnen Bewährungshelfer/innen,
die neue Ideen entwickelten, wird Einzelfallhilfe praktiziert.
Daß dies nicht in der Bewährungshilfe so
bleiben soll, wird durch den Versuch in Berlin (siehe Bericht oben) und durch
andere Schriften beschrieben.
Aus den in Berlin gesammelten
Erkenntnissen wird herausgehoben, daß problemorientierte Gruppenarbeit ein
ideales Lernfeld in der Bewährungshilfe ist. Sie ist auch ein adäquates Mittel,
wenn eine Strafaussetzung bei dem Probanden nicht mehr in Betracht kommt. Die
richterliche Weisung an der Gruppenarbeit teilzunehmen, kann dem Klienten die
Strafverbüßung ersparen.
Die vorgebrachten Bedenken von
Bewährungshelfer/innen gegen die Gruppenarbeit sind die gleichen, die sie auch
gegen sozialpädagogisch-therapeutische Sozialarbeit vorbringen.
Die Autoren stellen nochmals das Projekt
Berlin vor. Sie heben heraus, daß die Erfahrung gezeigt hat, daß der
Verurteilte sich früher oder später in den Prozeß der Gruppe mit einbringen muß
und das Gespräch so viel intensiver wird als beim herkömmlichen Einzelgespräch.
Dies ist als Vorteil der Gruppenarbeit nicht zu übersehen.
Auch hat sich bei diesem Projekt die
Zusammenarbeit von Praktikern (Bewährungshilfe) und Theoretikern (Institut) als
vorteilhaft herausgestellt.
Bewährungshilfe hat zu keiner
Verringerung von Inhaftierten geführt. Um dies zu erreichen sollten mehr
Angebote von ihr erfolgen in Formen von ,,Familientherapie",
,,Gemeinwesenarbeit" und von ,,Selbsthilfegruppen" und durch stärkere
präventive Arbeit.
Die wichtigen Phasen des Versuchs der
Gruppenarbeit in Berlin, die über 4 Jahre lief, waren:
1. Findungsphase
2. Startphase
3. Konzeptphase
4. Konsolidierungsphase
5. Neu-Strukturierung
6. überregionales
Engagement
Rückblickend wird in dem Artikel von 1977
über frühere Gruppenarbeit in der BWH mitgeteilt, daß diese vorwiegend
freizeitorientiert war, da die Mitarbeiter/innen nicht über das entsprechende
Fachwissen am Anfang ihrer Gruppenarbeit verfügten. Aus diesen Gruppen hatte
sich dann gelegentlich problemorientierte Gruppenarbeit entwickelt.
In dem Bericht werden nochmals die Vor-
und Nachteile in der praktischen Arbeit mit Probanden in der BWH aufgeführt. Es
gibt Fürsprecher, die das Vorgehen von freizeitorientiertem, an den Wünschen
der Klienten angelegtem Arbeiten herausheben. Das themenzentrierte Arbeiten in
der Gruppenarbeit hat für sie die Gefahr der zu starken Strukturierung durch
die Mitarbeiter/innen.
Die Unsicherheit der BWHer/innen bei der
problemorientierten Gruppenarbeit sowie bei der Aktivierung der
Gruppenmitglieder ist bei ihnen selbst zu suchen, wie der Satz ausdrückt
"Es fällt ihm schwer, ihnen zuzumuten, wöchentlich 90 Minuten an der
Gruppe teilzunehmen". Das Erlernen der Arbeit in problembezogener
Gruppenarbeit ist für den Leiter und die Leiterin notwendig, was eventuell auch
mit Hilfe und Unterstützung durch einen Co-Leiter oder eine Co-Leiterin
erleichtert wird. Dies kann auch den späteren Gruppenablauf positiv
beeinflussen.
Die Tendenz der Bewährungshelfer/innen,
besser ausgebildet zu werden und systematischer in Gruppen zu arbeiten ist
stark angestiegen. Das Ausbildungsmodell der DBH bietet hier einen 15-monatigen
Lehrgang in problemorientierter Gruppenarbeit an, mit regionalem
Erfahrungsaustausch, theoretischem und praktischem Erarbeiten von Gruppenarbeit
sowie Supervision.
Der Beitrag endet mit der Forderung, daß
die Gruppenarbeit in der BWH installiert werden muß, um eine
Veränderung der Arbeit der Bewährungshelfer/innen zu erreichen.
Es wird ,,eine Chance gesehen, die
Institution Bewährungshilfe aus ihrer Verkrustung zu lösen und Sozialisations-
und Hilfsaspekten mehr Gewicht zu verleihen".
6.) Thema, aus
Heft 1 von 1984, DBH - Bonn (Einzelbeitrag)
Berufsbegleitende Fortbildung in problemorientierter Gruppenarbeit, eine Chance
für Bewährungshelfer und Probanden Auswertung der persönlichen und
berufspraktischen Effizienz des ersten Lehrgangs In personenzentrierter,
problemorientierter Gruppenarbeit für hauptamtliche Bewährungshelfer
Günter Kastenhuber, BWH Passau
Herr Kastenhuber hat hier 1983 in der
Zeitschrift eine detaillierte Fragebogenauswertung veröffentlicht. Im Vorspann
hebt er heraus, daß Gruppenarbeit jetzt integrierter Bestandteil in der
Bewährungshilfe sei, denn sie sei die effektivere Betreuungsarbeit.
Eine Weiterentwicklung der Gruppenarbeit
in der Bewährungshilfe ist trotzdem unumgänglich.
Teilnehmer/innen des ersten Lehrgangs der
DBH, der im Feb. 79 begann und im Aug.80 endete, nahmen an der Fragebogenaktion
teil.
Von den angemeldeten 23 Teilnehmern/innen
aus der BRD beendeten 18 den Lehrgang. Im Bericht von Kastenhuber wird auf die
Abbrüche nicht mehr eingegangen. Anfang 83 hat Herr Kastenhuber hier diese
Erhebung bei den Kollegen/innen, die den Lehrgang in personenzentrierter und
problemorientierter Gruppenarbeit beendeten, durchgeführt.
Fast alle Befragten berichteten von
Problemen durch die starke Fluktuation der Klienten in der Gruppe, bei manchen
war dies das Hauptthema. Auch wurde die Rolle des Co-Trainers, der hier in der
Gruppe vorgesehen war, sehr unterschiedlich bewertet. Nur die Hälfte der
Kollegen/innen, die diese Fortbildung bei der DBH machte, arbeitete zur Zeit
der Erhebung noch mit Gruppen in der BWH. Gründe dafür wurden vom Autor in der
,,Nicht-Akzeptanz" der Arbeit durch die Richterschaft gesehen wie auch
durch Kollegen/innen, die von ihm dargestellt werden mit Äußerungen, wie: ,,Die
Bremsfallschirme der rivalisierenden, auf Gleichschritt achtenden Kollegen tun
das übrige".
Beachtung sollte noch finden, daß die
Ausbildung von den Kollegen/innen selbst finanziert wurde und nur durch
Dienstbefreiung vom Arbeitgeber Unterstützung fand.
7.) Thema aus Heft
4/82 von 1982, DBH - Bonn
Bericht aus der Praxis Gruppenarbeit aus Co-Leiter-Sicht v. Kurt Schäfer, Voerde
Bei den Lehrgängen der DBH für
problemorientierte Gruppenarbeit waren neben den Bewährungshelfer/innen
Co-Leiter tätig, die nicht aus der Sozialarbeit kamen.
Hier referiert Herr Schäfer über seine
Lernerfahrung als Co-Leiter. Er wies darauf hin, daß dies bis jetzt bei den
Veröffentlichungen von Texten zu kurz kam.
In seinem Bericht spricht er von
Rollenpositionen, die in der Gruppe das Verhalten der Teilnehmer stark
mitprägten, da Co-Leiter nicht als Amtspersonen angesehen wurden und daher
näher am Klientel waren.
Die Co-Leiter legten daher auch mehr Wert
auf die inhaltliche als auf die formale Ebene in der Gruppenarbeit.
Als ,,dritte Qualität", wie er sich
bezeichnet, wird durch ihn erst das Konzept dieser Gruppenarbeit mit
ermöglicht.
Durch seine Erfahrungen in dieser
Tätigkeit kommt Herr Schäfer auch zu dem Schluß, daß Gruppenarbeit eine Zukunft
in der Bewährungshilfe hat, da sie überwiegend Vorteile für das Klientel
bringt.
8.) Thema aus Heft
3 von 1985, DBH - Bonn
Gruppenarbeit mit arbeitslosen Probanden in der Bewährungshilfe Hannover,
Johanna v. Renner-Burka, DipI.So. Päd. Hannover
Die Maßnahme der hier vorgestellten
Gruppenarbeit wurde von den Bewährungshelfern mit einem freien Träger, der an
das Arbeitsamt angegliedert war, gemeinsam durchgeführt.
Es wurde entsprechend den
unterschiedlichen Vorstellungen der Initiatoren ein Versuch durchgeführt.
Dieser Versuch war eine Maßnahme des Arbeitsamtes mit Klienten der
Bewährungshilfe.
Die Bewährungshilfe trat hier
organisatorisch und auf der formalen Ebene zurück, die Förderungsmaßnahme war,
auch was den finanziellen Teil betraf, dem Arbeitsamt unterstellt.
Die 20 Klienten aus der Bewährungshilfe,
nahmen hier mit zwei Bewährungshelfern und zwei Mitarbeitern des Vereines an
der Planung, Durchführung und Auswertung eines vierwöchigen Kurses teil, der täglich
über sechs Stunden dauerte.
Trotz klarer inhaltlicher Vorgaben zeigte
sich u. a., daß das Problem Alkohol und Arbeitslosigkeit eng beieinander lagen
, und daß dies unerwartet einen wesentlich größeren Raum einnahm, als die
Initiatoren anfangs vermutet hatten.
In dem Kurs erlebten die Klienten
Gruppenarbeit als positive Alternative gegenüber dem Einzelgespräch. Sie
konnten Ängste und Verhaltensfehler bei sich leichter überwinden und als Gruppe
ihr Selbstwertgefühl besser aufbauen.
Die Bewährungshelfer haben diese
Gruppenarbeit als sinnvoll und positiv bewertet. Auch bei den Klienten kam sie
gut an, was sich bei ihnen durch die aktive Mitarbeit bestätigte.
Geplante weitere Kurse mußten jedoch aus
finanziellen Gründen abgesagt werden, da das Arbeitsamt den freien Träger nicht
mehr unterstützte.
9.) Thema aus Heft
2 von 1985, DBH - Bonn
Erfahrungsbericht
über ein Freizeitseminar mit arbeitslosen
Probanden von Nikolaus Steyer, BwHer in Lünen
Von Veranstaltungen, bei denen der Sport
im Vordergrund steht, berichtet der Kollege Steyer.
Hier war die sportliche Aktivität der
Gruppe der Beginn des Treffens. Die von ihm angesprochenen Probanden waren
arbeitslos, die Gruppe umfaßte ca. 12 Klienten. Sie war auch für die Freunde der
Probanden offen, was dazu führte, daß sich die Teilnehmerzahl schnell
verdoppelte.
Aus diesen lockeren Treffen entwickelten
sich gemeinsame Gesprächs- und Bastelgruppen. Eine gemeinsame mehrtägige
Fortbildung, die mit vom Jugendamt unterstützt wurde, kam daraus zustande.
Mit dieser mittlerweile festen Gruppe hat
der Kollege mit den Klienten ein gegenseitiges schnelles Vertrauensverhältnis
aufbauen können, was zu einer später besseren Betreuungsarbeit führte.
Die lockere sportliche Betätigung war für
ihn ein idealer Einstieg in Gruppenarbeit.
Auffallend ist aber die Anmerkung des
Autors, daß er oft über das sehr positive
Verhalten der Klienten in der
Gruppenarbeit überrascht war.
10.) Thema aus Heft
1 von 1990, DBH - Bonn
Die
Gruppensprechstunde, Genese einer praxisorientierten Gruppenarbeit
J. Schendler / S. Schwarz / V. Sprenz (BWH - Hannover)
Als Beispiel von einer Möglichkeit der
Gruppenarbeit wird von den drei Kollegen/innen die Gruppensprechstunde
favorisiert.
Zu Beginn ihres Berichtes teilen sie mit,
wie sie Versuche mit problemorientierter Gruppenarbeit unternommen hatten
Im Jahre 1982 hatten sie mit den ersten
Vorbereitungen begonnen (siehe vorherige Berichte). Sie hatten ein Konzept
erarbeitet für 20 Treffen über jeweils 90 Minuten mit 12 Probanden.
Trotz guter Vorbereitung und Fachwissen
sowie auch Rückhalt bei den Kollegen/innen in der Dienststelle wurde es nach
einem Probelauf als gescheitert angesehen. Die Fluktuation der teilnehmenden
Klienten war viel zu groß, der zeitliche Mehraufwand bei ihrer Arbeit stand
nicht im Verhältnis zum Erfolg.
Dadurch stand für sie fest, eine
Entscheidung zu treffen: Aufzuhören mit der Gruppenarbeit, eine Denkpause
einzulegen, Fortbildung zu belegen oder so weiterzumachen.
Auch diese vier Überlegungen überzeugten
sie nicht. Die Praxis hatte ihnen, nach ihrer Aussage gezeigt, daß die
Arbeitsorganisation mehr das Alltagsverhalten der Klienten berücksichtigen muß.
Das Gruppenverhalten der Klienten im
Wartezimmer wurde von ihnen aufgenommen. Diese Kommunikationsstruktur sollte
erhalten bleiben und daraus Gruppenarbeit entwickelt werden.
So starteten sie 1984 den Versuch,
Gruppensprechstunde in ihrem Büro anzubieten. Es gab hier weder einen
organisatorischen noch einen inhaltlichen Zwang für die Gruppe, auch bestand weiterhin
die Möglichkeit der Einzelgespräche für diese Probanden.
Aus diesem Angebot kam eine feste und
kontinuierlich arbeitende Gruppe zustande.
Das Verhältnis von Bewährungshelfer zum
Probanden veränderte sich schnell. Die Probanden konnten sich gut auf die
Gespräche einstellen, da immer mehrere Kollegen teilnahmen.
Entgegen ihren Erwartungen waren es die
älteren und schwierigen Klienten, die regelmäßig in die Gruppe kamen.
Dieses Gruppenangebot kam so gut bei den
Probanden an, daß sich daraus auch eine längere Freizeitveranstaltung
entwickelte.
In dieser Arbeit, die auch den Kollegen
selber am meisten Spaß machte, sehen die Autoren die ideale Form von
Gruppenarbeit, die auch zeitlich am effektivsten zu realisieren ist.
11.) Thema aus Heft
2 von 1983, DBH - Bonn
Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit wiederholt auffälligen Verkehrsstraftätern
in der Bewährungshilfe als Alternative zum Strafvollzug - Erster
Erfahrungsbericht - Arnold Hummel / Erika Pioch - BwH Berlin
Im Vordergrund dieser Versuchsgruppe steht,
daß es von Beginn an nicht um eine freiwillige Teilnahme der Klienten ging.
Die Teilnahme erfolgte auf richterliche
Weisung, eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe wäre sonst die Folge gewesen.
Hier wird von Richtern und Pädagogen auf
Gruppenarbeit zurückgegriffen, um bei dem Klienten in kurzer Zeit sein
Verantwortungsbewußtsein zu wecken und seine Persönlichkeitsdefizite
aufzuarbeiten.
Im Vordergrund steht hier natürlich,
entsprechend seiner Straftat, der Alkoholmißbrauch. Hier wird dem Probanden in
der Gruppe mit dem Dazuziehen von verschiedenen Fachleuten sein Alkoholproblem
bewußt gemacht.
Diese überaus feststrukturierte
Gruppenarbeit stieß anfänglich bei den Klienten auf Ablehnung. Im Laufe der
Gruppenarbeit ließ dieser Widerwillen stark nach, es entwickelte sich meist
eine aktive Mitarbeit.
Nur wenige Gruppenmitglieder sind aus der
Gruppe ausgeschieden.
Die Autoren betonen, daß nur durch
Gruppenarbeit diese intensive Einwirkungsmöglichkeit auf Klienten gegeben war, und
so die Verbüßung der Strafe ausgesetzt werden konnte.
12.) Briefwechsel
(als Mitteilungsmöglichkeit unter Kollegen/innen)
Thema aus
Heft 4 von 1992, DBH - Bonn, Innovative Arbeit in der Bewährungshilfe,
Konzeptionsentwicklung am Beispiel des Projektes Alkoholmißbrauch und
Straffälligkeit - von Hilde HöII, BwH in Stuttgart
In diesem "Briefwechsel"
schildert Frau Höll den Kollegen/innen, daß sie nach vielen Jahren der
Tätigkeit als Bewährungshelferin aus dem Gefühl der Stagnation am Arbeitsplatz
heraus die Überlegungen zur Gruppenarbeit entwickelt hat.
Sie kritisiert, daß die existierenden
Freiräume, die in der Arbeit der Bewährungshilfe vorhanden sind, von den
Kollegen/innen nicht genug genutzt werden.
Ihre Versuche auf Veränderungen der
Arbeit (z.B. durch Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe) werden von
Justizminister und Richterschaft unterstützt, sie wird für diese Tätigkeit
teilweise freigestellt.
In dem Artikel berichtet sie von einem
Kurs, der den Probanden in Gruppenarbeit die Probleme wie ,,Alkoholmißbrauch
und Straffälligkeit" näher gebracht hat. Diese zeitlich und inhaltlich
strukturierte Gruppe ist eine positive Veränderung in der Arbeit, nicht nur aus
Sicht des Klientels, sondern auch nach Meinung der Betreuer.
Sie hebt provokativ heraus, daß die
Fixierung auf Einzelfallarbeit in der Bewährungshilfe für sie überholt sei.
Sie fordert die Kollegenschaft auf,
aktiver und kreativer in ihrer alltäglichen Arbeit zu werden und mehr
Veränderung zu zulassen.
13.) Thema aus Heft
2 von 1993, DBH - Bonn
Einzelarbeit contra Gruppenarbeit
Reinhild Pohl-Burbliess - Gedanken beim Lesen des Artikels Frau HöII über
Innovative Arbeit in der Bew.Hi. aus 4192
Der vorangegangene Artikel von Frau Höll
hat bei der Kollegin R. Pohl-Burbliess keine Zustimmung gefunden.
Die Kollegin, die sich als ,,offen
gegenüber Projekten" beschreibt, fühlt sich von der Darstellung über die
nicht mehr aktuelle Einzelarbeit in der Bewährungshilfe durch Frau Höll
herabgesetzt.
Sie hält Frau Höll einen Grundsatz der
Bewährungshilfe vor, daß die ,,eigene Persönlichkeit wichtigster Bestandteil
der Arbeit" bei uns ist. Das Einzelschicksal unserer Klienten soll nicht
durch das ,,Hochlebenlassen" von Therapieformen in den Hintergrund
gedrängt werden.
In ihrem Artikel beschreibt Frau
PohI-Burbliess ihre langjährige Erfahrung als Bewährungshelferin, in der auch
in ihrer Dienststelle Projekte erarbeitet wurden und oft wieder erfolglos
endeten.
Sie selbst hat auch in Gruppen
mitgearbeitet, aber die Einzelfallarbeit ist für sie nach wie vor der Schwerpunkt
in der Bewährungshilfe.
Die unterschiedlichen Arbeitsstile
sollten in der Bewährungshilfe nebeneinander existieren.
Abschließend verwahrt sie sich gegen das
grundsätzliche Herabsetzen von Methoden in der Bewährungshilfe, was dazu führen
kann, daß das Gefühl entsteht, daß hier eine ,,bessere Arbeit" geleistet
wird.
14.) Thema aus Heft
1 von 1994
Muß die
Bewährungshilfe soziale Trainingskurse durchführen?
Dr. Andreas Hohendorf, Richter am AG Höxter
Herr Richter Hohendorf stellt in seinem
Bericht Überlegungen nach Forderung von sozialen Trainingskursen in der
Bewährungshilfe an.
Seine Überlegung zur Veränderung der
Arbeitsinhalte in der BWH entwickeln sich aus der Notwendigkeit des Richters,
für seine Weisungen eine Umsetzmöglichkeit zu finden.
Er schildert Schwierigkeiten mit dem
Jugendamt bei der Durchführung von sozialen Trainingsmöglichkeiten für
jugendliche Straftäter.
Er fragt sich, ob die Bewährungshilfe
hier nicht auch ein Angebot anbieten sollte. Das Jugendamt hatte sich
geweigert, bestimmte Jugendliche mit richterlicher Weisung in der Gruppe
aufzunehmen. Bei der Frage, wer diese Maßnahme dann durchführen könnte, ging
seine Überlegung zur Bewährungshilfe. Rechtlich gibt es die Möglichkeit dazu.
Nach seiner Meinung werden hier
langwierige Streitereien auf dem Rücken der Delinquenten ausgeführt, wo bei ihm
eigentlich der Arrest erspart werden sollte.
Bei dem Konflikt mit dem Jugendamt weist
der Richter das Argument, daß bereits vorbestrafte Jugendliche die Gruppe
negativ beeinflussen könnten, zurück. Er vermutet eher Kostengründe beim
Jugendamt, einen solchen Kurs nicht anzubieten.
15.)
Vermerk zur der Auffindung von Fachartikeln zu diesem Thema
Neben der Vielzahl in der Gruppenarbeit, die
ich hier vorstellte, wurden in den vielen Jahren noch andere Modelle und
Versuche unternommen, die Arbeit in der Bewährungshilfe zu verändern
Hier möchte ich nur auf weitere Berichte
aus den Heften der DBH verweisen, wie
ein Thema aus Heft 3 von 1983 -,,Einige
Überlegungen zur (verhaltensanalytischen) Gesprächsführung in der
Bewährungshilfe" von Dr. Siegfried Grosse, Linden;
aus Heft 4 von 1987 von Sven Nachmann zum
Buch von Fiedler u.a. Psycho. Verlag München über ,,Gruppenarbeit mit
Angehörigen schizophrener Patienten"
und aus Heft 4 von 1983 mit dem Thema
,,Familientherapie in der Bewährungshilfe in interdisziplinärer Co.
Therapie" von Prof. Dr. Hans Goldbrunner, Uni. Essen.
Der Abschlußbericht über
,,Problemorientierte Gruppenarbeit mit Probanden" in Hessen aus dem Jahre
79/80 konnte von mir nicht berücksichtigt werden, da dieser mir nicht zur Zeit
vorlag.
Außer dem Buch ,,Soziale Gruppenarbeit in
der Bewährungshilfe - Aufbau einer Regionalgruppe -", von Herrn N.
Lippenmeier, DBH Bonn, 1991 konnte ich keine mir empfohlene Fachliteratur in
der Zeit dieser Berichtserfassung heranziehen, da fast sämtliche Bücher und
Fachschriften, die vor mehr als zehn Jahren erstellt wurden, vergriffen sind.
16.) Bericht aus meiner eigenen Arbeit In der
Bewährungshilfe
In meiner Anfangszeit als
Bewährungshelfer (Ende der 70er Jahre) gab es häufig Gespräche über
Gruppendynamik und Gruppenbildung unter Bewährungshelfern/innen.
Selbsterfahrung und Überlegungen zur
Gesellschaftslehre beeinflußten unsere Tätigkeiten.
Bedingt durch die Sonderstellung bei der
Justiz bestand bei der Bewährungshilfe in den 60er und 70er Jahren das Gefühl,
nicht ernst genommen zu werden. Aber daher hatten sie auch die Chance, die
manchmal genutzt wurde, neue Wege zu gehen.
Die teilweise vorhandene Unsicherheit bei
der BWH als ,,Sondergruppe in der Justiz" und auch als ungeliebtes Kind
(Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Richter), wurde durch Suchen nach einem
,,Wir-Gefühl" bei den Kollegen/innen abgebaut.
Aspekte für unser Arbeiten in der Gruppe
der Bewährungshilfe sind von uns mit Äußerungen wie: ,,Vertrauen",
,,Tragfähigkeit der Gruppe" sowie ,,trotz Auseinandersetzung keine
Feindschaft unter uns entstehen zu lassen" ausgedrückt worden. Darüber
wurde viel bei uns gesprochen, und es wurde auch in Fortbildungsseminaren
ausprobiert, aber trotzdem trat Gruppenarbeit mehr und mehr in den Hintergrund
bei unserer alltäglichen Arbeit.
Nicht nur unser Klientel wird durch die
ständigen Veränderungen in der Gesellschaft mit verändert, auch wir müssen die
Schwerpunkte unserer Arbeit darauf abstellen.
Aber auch als Teil der Gesellschaft
unterliegen wir den Veränderungen. So sind wir gezwungen, uns auf zwei Ebenen
zu ändern.
Bleibt deshalb die Forderung der
Veränderung in unserer Arbeit, wie am Beispiel Gruppenarbeit in der
Bewährungshilfe, auf der Strecke, weil es einfach zu viel für uns wird?
Nach wie vor ist Gruppenarbeit unter
Sozialarbeiter/innen sowie Gruppenarbeit mit dem Klientel die große Ausnahme in
der Bewährungshilfe.
Das Verhältnis theoretischer Beschäftigung
von Bewährungshelfer/innen mit Gruppenarbeit und das praktische Arbeiten mit
Gruppen scheint nicht im Einklang miteinander zu stehen.
Hat Gruppenarbeit doch mehr mit unseren
persönlichen Wünschen nach Gruppenzugehörigkeit zu tun? Können wir Bewährungshelfer/innen
nur sehr schlecht akzeptieren, daß wir eigenständig unser Dezernat führen und
deshalb in unseren Dienststellen isoliert ohne Gruppengefühl arbeiten?
Fehlt uns die Anerkennung durch Kollegen
und Richter? Oder fällt es uns Sozialarbeiter/innen so schwer zu akzeptieren,
daß wir nur oder auch zum Glück in Bürogemeinschaften arbeiten?
Fast sämtliche von mir hier vorgestellte
Berichte der Kollegen enden mit der Empfehlung, Gruppenarbeit zu installieren,
ihr eine stärkere Bedeutung zu geben sowie das Feld der Einzelfallarbeit zu
verlassen.
Wenn diese Forderungen nicht elitär
erhoben werden, was dann zu dem o.a. angeführten Briefwechsel führte, können
sie auch von der Mehrheit der Kollegen/innen mitgetragen werden. Aber müßte
dann nicht mittlerweile überall schon Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe
angewandt werden?
Da in den Artikeln aber auch von
Gruppenarbeit berichtet wird, wenn auch nur am Rande, die eingestellt wurde,
gehe ich davon aus, daß dies auch noch öfter der Fall ist. Berichte darüber,
warum und wieviele BWH Gruppenarbeit beendeten, konnte ich leider nicht finden.
Aus meinen Erfahrungen als
Bewährungshelfer möchte ich hier ein Beispiel dazu anführen.
Eine über mehrere Jahre laufende
Gruppenarbeit in meiner Dienststelle, die Ende 1995 eingestellt wurde, möchte
ich hier heranziehen. Auch liegt hier kein abschließender Bericht vor. Eine
detaillierte Ausarbeitung konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Vor 10 Jahren wurde über den Hess.
Minister der Justiz hier ein Projekt installiert mit dem Thema
,,Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit
wiederholt alkoholauffälligen Verkehrsstraftätern"
Dieses Projekt wurde dem Berliner Modell
nachempfunden. Es wurde mit zwei zusätzlichen Stellen in der Bewährungshilfe in
Frankfurt und einer Stelle bei der Gerichtshilfe in Frankfurt ausgestattet.
In den Räumen der Bewährungshilfe sollten
die Gruppenveranstaltungen durchgeführt werden. Die für diesen Kurs tätigen
Mitarbeiter/innen wurden fachlich gesondert geschult (TÜ-Mainz) und nahmen an
Supervisionsveranstaltungen teil.
Sämtliche Kosten, auch Ausbildung und
Supervision für die Kollegen/innen, trug der Arbeitgeber.
Werbeveranstaltungen für dieses Projekt
wurden bei der Richterschaft vom Ministerium mit gefordert und unterstützt.
Daß die Mehrheit der
Bewährungshelfer/innen in Frankfurt dieses Projekt ablehnten, möchte ich nur
kurz erwähnen. Diese Ablehnung hatte aber keinen Einfluß auf dessen Verlauf.
Nach anfänglich recht guten Erfolgen in
dieser Gruppenarbeit und auch guter Resonanz bei den Richtern zeigten sich aber
bald zunehmende Probleme. Die Übernahme eines Projektes aus einer
,,Inselstadt", die Berlin damals noch war, auf eine Großstadt mit
ländlichen Randbezirken (Landgerichtsbezirk Frankfurt) war nicht so möglich.
Die Schwierigkeiten der Probanden (alle
ohne Führerschein) zum Gruppengespräch zu gelangen, war schon wegen der nicht
vorhandenen öffentlichen Verkehrsverbindungen im Raum Frankfurt in den
Abendstunden für sie fast unmöglich. Es zeigte sich auch schnell, daß die
Verkehrskontrollen in Berlin durch die Polizei bestimmt häufiger stattfanden.
Der in Frankfurt verurteilte Personenkreis hatte erheblich größere
Alkoholprobleme (fortgeschrittene Suchterkrankungen), die dann in der Gruppe
nicht mehr behandelt werden konnten. Hier mußte dann eine stationäre
Unterbringung in Facheinrichtungen eingeleitet werden.
Der Hauptgrund für die ständig
rückläufigen Teilnehmerzahlen war aber bei den Staatsanwälten und Richtern zu
suchen. Hier wurde das Projekt zunehmend nicht mehr genutzt.
In den letzten zwei Jahren kam dann durch
die schwache Belegung keine einzige Gruppe mehr zustande. Vereinzelte Klienten
mit richterlichen Weisungen wurden dann an die TÜ-Hessen weitervermittelt.
Zum Jahreswechsel wurde das Projekt vom
Ministerium eingestellt, die drei Kollegen/in wurden vorübergehend in den
allgemeinen Ablauf der Dienststelle eingegliedert.
Daraus konnte ich auch wieder erkennen,
daß nur durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit aller Betroffenen die
Projekte in der BWH Erfolg haben können. Bereits das Ausscheren einer Gruppe
oder das halbherzige Einsetzen von Kollegen in das Projekt kann hier das Aus
bedeuten.
Dies ist aber auch bei unserer
alltäglichen Fallarbeit so, hier wird jedoch dann eine flexiblere Umverteilung
vorgenommen oder es fällt nicht auf, da eine Kontrollfunktion fehlt.
Nach meiner Meinung hat die Gruppenarbeit
in der Bewährungshilfe es so schwer richtig in Schwung zu kommen, weil sie mit
Mehrarbeit, mit Verbindlichkeit und Planung für den Betreuer/in zu tun hat, und
sie ist plötzlich mehr, zumindest von dem Klientel, vom Co-Trainer und von der
Supervisionsgruppe kontrollierbar.
Bewährungshelfer/innen sind, bedingt
durch Lebensalter und Verschleiß, durch 20jähriges Arbeiten in ihrem Beruf oft
bequem oder inaktiv geworden. Sie wollen dann auf keinen Fall eine Veränderung
der Arbeit mit Klienten und in ihrem Büro, die mit ,,Mehrarbeit" zu tun
haben könnte.
Vielleicht ist es auch nur die
persönliche Bequemlichkeit oder auch die Angst, den gewohnten Weg zu verlassen.
Es fällt mir bei der Arbeit über diesen
Bericht auf, daß viele Bewährungshelfer/innen, auch wenn sie sehr oft
unzufrieden über ihre Arbeitssituation und Arbeitgeber sind, vom Studium bis
zur Rente in ihrer Dienststelle verbleiben. Leider geht der Mut zur Veränderung
immer nur von wenigen aus.
Es scheint mir, daß aus diesen
Anmerkungen von mir auch ein Hinweis zu entnehmen ist, wieso die Theorie so
wenig in die Praxis der Arbeit mit Probanden umgesetzt wird.
Ist dies vielleicht einer der Gründe für
das oft Nichtzustandekommen von Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe?
Dieser Lehrgang beginnt jetzt für mich
und ich werde danach mehr darüber sagen können.
Claudia Langer,
Bewährungshelferin beim LG Kassel, Beratungsstelle Fritzlar
Einzelhilfe,
Gruppenarbeit
Methoden der
Bewährungshilfe im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Mitteilungspflicht
Einleitung:
1. Auch die Bewährungshilfe wird von den verfassungsrechtlichen
Grundsätzen und Prinzipien entscheidend mitgeprägt und zwar dem
Rechtsstaatprinzip, dem Sozialstaatsprinzip und von der föderativen
Grundstruktur der Verfassung (Bund- und Länderverhältnis).
Auch ein
Straftäter ist Träger von unverzichtbaren Freiheits- und Grundrechten.
Insbesondere Artikel 1 Grundgesetz (Menschenwürde). Die freie menschliche
Persönlichkeit und ihre Würde ist der höchste Rechtswert innerhalb der
verfassungsmäßigen Ordnung. Neben dem Schutz der Menschenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht
(Artikel 2 Grundgesetz) steht die Resozialisierung. Sie ist eine Verpflichtung
der Gesellschaft. Das Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 Grundgesetz verlangt
die staatliche Vorsorge und Fürsorge der Gruppen, die aufgrund ihrer persönlichen
Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlichen Benachteiligung in
ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung verhindert sind. Hierzu gehören aus
meiner Sicht auch Straftäter, d.h. Gefangene und Entlassene.
2. In meiner täglichen Arbeit als
Bewährungshelferin habe ich immer wieder über Fragen der Verschwiegenheit,
Mitteilungspflicht, Datenschutz, Aufnahme von Kenntnissen in Akten und
Konsequenzen daraus zu entscheiden.
Die Vorgaben
sind vor allem:
- der Bewährungshelfer/in berichtet über
die Lebensführung ...,
- der Bewährungshelfer/in steht dem
Verurteilten helfend und betreuend zur
Seite...,
- er/sie überwacht im Einvernehmen mit
dem Richter die Erfüllung der Weisungen, Auflagen ...,
- § 203 Abs. 1 StGB: wer unbefugt ein
fremdes Geheimnis offenbart namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich
gehörendes Geheimnis ... , das ihm als ... staatlich anerkannter Sozialarbeiter
... oder staatlich anerkannter Sozialpädagoge ... anvertraut oder sonst bekannt
geworden ist, wird ... bestraft.
(Mit
Zustimmung des Betroffenen ist die Offenbarung solcher Geheimnisse
selbstverständlich nicht unbefugt.)
- Datenschutzrechtliche Regelungen sind
zu beachten.
- Die Handakte des Bewährungshelfer/in
muß die dienstliche Korrespondenz enthalten sowie Vermerke über die Gespräche
und sonstige Aktivitäten. Einsichtsrecht haben der Dienstherr und der
bewährungsaufsichtsführende Richter. Weiteres zur Aktenführung und Einsicht ist
in den für uns verbindlichen Verwaltungsvorschriften geregelt.
- Bewährungshelfer/in sollen mit anderen
Dienststellen wie Jugendamt, Sozialamt, Suchtberatung und sonstigen
Beratungsstellen zusammenarbeiten.
Allen Bemühungen zum Trotz finden sich
für mich Widersprüche darüber, wann welche Mitteilung des Probanden wie
entschieden werden soll, sowohl nach rechtlichen aber auch nach
sozialarbeiterischen Gesichtspunkten. Wann bin ich verpflichtet, dem Gericht zu
berichten, wann befugt oder nicht im Spannungsfeld zwischen
Verschwiegenheitspflicht, Datenschutz und Mitteilungspflicht, Kenntnisse weiterzugeben.
3. Gestaltungsfaktoren der Bewährungshilfe:
Die Bewährungshilfe gliedert sich in
unterschiedliche Rechtsverhältnisse, Rechtsbeziehungen und Beziehungsebenen
auf:
a. Gericht
- Verurteilter
b. Bewährungshelfer/in
- Proband
c. Bewährungshelfer/in
- Gericht
d. Bewährungshelfer/in
– Anstellungsträger
a. Die Rechtsbeziehung - Beziehungsebene
Gericht - Verurteilter
Der Inhalt der Rechtsbeziehung zwischen
Gericht und Verurteilten ist gesetzlich geregelt. Ziel sollte es sein, den
Verurteilten von weiteren Straftaten abzuhalten, auch wenn im übrigen nicht
jede Straftat die "Bewährungserwartung" widerlegt. Im Rahmen der
Bewährungszeit überwacht das Gericht nach § 453 b StPO die Lebensführung des
Verurteilten, namentlich die Erfüllung von Auflagen/Weisungen,
Anerbieten/Zusagen.
b. Die
Rechtbeziehung - Beziehungsebene
Bewährungshelfer - Proband
Hier werden 2 Aufgabenbereiche gesehen
und zwar:
1. die Kontrolle/Überwachung von Auflagen/
Weisungen/ Anerbieten und Zusagen;
2. die
Hilfe und Betreuung.
Zu 1: die Kontroll- und Überwachungsaufgaben der
Bewährungshilfe sind durch konkrete gerichtliche Entscheidungen vorgegeben. Sie
sind originär - richterliche Aufgaben. Durch konkrete Bestellung eines
Bewährungshelfers aufgrund der gesetzlichen Ermächtigungen nach § 56 d Abs. 3
StGB an den Bewährungshelfer/in übertragen worden - quasi delegiert. Sie kann
von dem Bewährungshelfer/in nicht autonom ausgeführt werden, sondern im
Einvernehmen mit dem Gericht.
Zu 2: Der Aufgabenbereiche Hilfe/Betreuung
Grundelement
einer Betreuung ist die persönliche Beziehung, wobei die Methode, die Form und
das Ziel der Hilfeleistung von vornherein klar sein muß. Die Bezugspunkte der
Bewährungshilfe ergeben sich in erster Linie im methodischen
Handlungsinstrumentarium der sozialen Arbeit. Voraussetzung für eine helfende
Beziehung ist, daß die persönliche Beziehung zwischen Proband und
Bewährungshelfer/in vom gegenseitigen Vertrauen getragen wird. Ziel einer
Beziehungsarbeit sollte u.a. sein, daß Affekte abgestellt werden, ein Bewußtsein
geschaffen wird, über das Erlebte zu sprechen und über die Beziehungsebene den
Probanden in die Gemeinschaft zurückzuführen.
Von dem
Probanden wird das Rechtssystem als sehr abstrakt gesehen, da er nicht in
dieser Welt lebt.
Nicht zu
vergessen ist hierbei jedoch, daß die Bewährungszeit ein begrenzter Zeitraum
ist, der gerichtlicherseits vorgegeben ist und Ziel sollte auch sein, daß der
Proband auch nach Ablauf der Betreuungszeit selbständig ein rechtschaffenes
Leben führen kann.
Auf diesen Punkt der Hilfe und Betreuung
möchte ich deshalb näher eingehen, da dies in meiner Tätigkeit als
Bewährungshelferin für mich die größte Bedeutung hat. In meiner täglichen
Arbeit habe ich in diesem Zusammenhang in der Gruppenarbeit erfahren, daß ich
hierdurch in eine Konfliktsituation hineingerate. Das erwünschte Ziel der
Gruppenarbeit Offenheit und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen
Bewährungshelfer/in und Proband bedeutet häufig, daß ich Informationen bekomme,
die in der Einzelhilfe voraussichtlich nicht in diesem Maße bekannt geworden
wären. In einer vertrauten Gruppensitzung erzählte ein Proband, daß er illegale
Drogen konsumieren würde. Ein anderer Proband warf in die Runde: "Wir sind
ja hier unter uns" und schaute mich erwartungsvoll an. Zum einen wollte ich
in dieser Situation nicht zum Kumpanen des Probanden werden, indem ich es für
mich behalte, zum anderen wollte ich das geäußerte Vertrauen mir gegenüber
nicht mißbrauchen, indem ich diese mir bekannte Straftat dem
bewährungsaufsichtsführenden Richter mitteile.
In der Einzelhilfe entsteht seltener eine
Atmosphäre solcher Offenheit und des Vertrauens. Beim Bemerken eines möglichen
illegalen Drogenmißbrauchs vermittelte ich an die hiesige
Drogenberatungsstelle. Die dortigen Mitarbeiter haben ein Zeugnisverweigungsrecht
und keine Berichtspflicht gegenüber dem Gericht. Dieses Beispiel soll nochmals
den Konflikt zwischen Aufsicht und Hilfe sehr deutlich machen, wobei ich
deutlich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen möchte, daß die Justiz sich
bei der Einführung der Bewährungshilfe für Sozialarbeiter/-pädagogen
entschieden hat.
Kontroll- und Überwachungsfunktion
könnten auch von vielen anderen Berufsgruppen ausgeführt werden. Die soziale
Arbeit ist jedoch nur auf einer Vertrauensbasis möglich und fordert daher aus
meiner Sicht zwingend ein Zeugnisverweigerungsrecht für Bewährungshelfer/innen.
Soziale Arbeit der Bewährungshilfe darf
keine Ermittlungstätigkeit sein. Die von den bewährungsaufsichtsführenden
Richtern häufig zu hörenden Erwartungen der Aufsicht und Kontrolle bedeuten für
mich im Extremfall einen Mißbrauch unserer Berufsgruppe.
Ich hoffe, ich habe mit meinen
Ausführungen deutlich gemacht, wie häufig die Diskrepanz zwischen
Mitteilungspflicht und Vertrauen der Probanden sowie der verständlichen Überlegung
sozialarbeiterische Verschwiegenheit zu üben, in der praktischen
Bewährungsarbeit erlebt wird.
Ich will als Bewährungshelferin nicht das
soziale Feigenblatt der Justiz sein, die eigentlich sozialarbeiterisches
Handeln geringer wertet als die Überwachungs- und Kontrollfunktionen,
andererseits aber auf Sozialarbeiter nicht verzichten will.
Bei der Vorbereitung für dieses Referat
und der von mir verwendeten Literatur ist mir aufgefallen, daß das
Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Mitteilungspflicht ein unausgesprochenes
aber offensichtliches Fragezeichen hinterläßt, das nicht fokussiert wird.
c. Die
Rechtsbeziehung - Beziehungsebene
Bewährungshelfer - Gericht
Hier wird ein dreifacher Auftrag an die
Bewährungshilfe vorgegeben (gesehen) und zwar:
1. die Kontroll- und Überwachungsaufgaben
für Auflagen/Weisungen/Anerbieten und Zusagen;
2. dem Probanden die Möglichkeiten von
Hilfe/Betreuung zu geben;
3. die Lebensführung des Probanden dem
Gericht zu berichten.
d. Das Rechtsverhältnis - Beziehungsebene
Bewährungshelfer - Anstellungsträger
Die dienstlichen Fragen - und
aufsichtsrechtlichen Belange sind durch die jeweiligen Landesgesetze geregelt.
Die dienstrechtlichen Weisungen haben allerdings ihre Grenzen und zwar dort, wo
die richterliche Unabhängigkeit beginnt.
Holger Scharf,
Bewährungshelfer beim LG Gießen
"Theoretische
Aspekte zu den Begriffen: Gewalt, Jugend und
Subkultur"
Beitrag zum Abschlußkolloquium am 01.10.1997
Einleitung
Die Thematik der Gewalt im Kontext der
Jugendkriminalität beherrscht seit einigen Jahren, insbesondere seit den
schlimmen Anschlägen gegen ausländische Mitbürger die öffentliche Diskussion.
Sie findet ihren Niederschlag in vielerlei Medien seriöser und bedenklicher
Machart, sie prägt aber auch die fachliche Auseinandersetzung in umfangreicher
Weise und ihre Suche nach angemessenen Reaktionen.
Ob prügelnde Jugendgruppen auf
Zeltplätzen, Erpresserbanden auf Schulhöfen, Jugendgangs in den Problemgebieten
der Ballungszentren oder gewaltbereite Skinheads, sie alle wecken das
öffentliche Interesse. Immer wieder zu hören die lauten Rufe nach verstärkten
staatlichen Sanktionen durch Verschärfung des (Jugend-) Strafrechts,
Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze oder auch dem Verlangen nach
nächtlichen Ausgangssperren für Kinder und Jugendliche (Frankreich) oder der
Wiedereinführung geschlossener Heime.
Interessanter Weise steht aber die
subjektive Befürchtung Erwachsener Opfer einer Gewalttat zu werden, die
Ursprung solcherlei Forderungen ist, offenbar in keinem Verhältnis zur realen
Gefahrenlage. Wie Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen
Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover erst vor wenigen Tagen in einer
Sendung des Hessischen Rundfunks ausführte, sind Erwachsene in Deutschland, im
Gegensatz zu Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden, im Vergleich zu den
achtziger Jahren nicht häufiger von Gewaltakten betroffen. Anders aber die
Situation bei den jüngeren Jahrgängen, bei denen eine signifikante Steigerung
feststellbar ist und zwar als Täter und Opfer.
Ich will mich im Folgenden mit Aspekten
zu den Begriffen Gewalt, Jugend und Subkultur befassen.
Gewalt
Zum Begriff der Gewalt nur einige kurze
Anmerkungen. Unter Gewalt versteht man ein zielgerichtetes, zumindest
"gerichtetes" Schädigen, Beeinträchtigen und Schmerzzufügen. Gewalt
wird in der psychologischen Betrachtung als Unterform der Aggression,
insbesondere im Falle von körperlichen Aggressionen betrachtet.
Erklärte man Aggression früher mit Erkenntnissen
aus der Triebtheorie (hydraulisches Energiemodell, Abbau von Aggressionen um
seelische Störungen zu vermeiden, Vertreter Freud und Lorenz) oder der
Frustrationstheorie, so richtet man den Blick heute im Wesentlichen auf die
Lerntheorie (Lernen ist die Veränderung personaler Dispositionen aufgrund von
Erfahrungen). Nachahmungslernen (Eltern, soziales Umfeld, Bezugspersonen,
Gruppe, aber auch Medien), Lernen durch Erfolg oder Mißerfolg und kognitives
Lernen (Lernen also durch Wissensbildung). Begriffe wie "Notwehr",
"Feind", "Ehre"..., Denkweisen wie "Strafe muß
sein", "Grober Klotz auf groben Keil" implizieren und
legitimiere damit möglicherweise den Einsatz von Gewalt.
Eine reine Lehre zum Aggressionsbegriff
ist nicht zu erwarten.
Aggressives Verhalten ist vielmehr die
Summe, das Ergebnis komplexer psychischer Prozesse, die wiederum einer Vielzahl
von personalen und situativen Bedingungen unterliegen.
Jugend
und Subkultur
Pfeiffer, wie ausgeführt, stellt bei
Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden eine signifikante Affinität zu Gewalt
fest.
Was könnten Gründe sein für dieses
Phänomen?
Ich will im Folgenden einige
Erklärungsversuche anhand der Forschungen von Heitmeyer und Willems vorstellen,
die im Auftrage des Bundesjustizministeriums bzw. des Bundesministeriums für
Frauen und Jugend erstellt wurden.
Desintegrationstheorie
Heitmeyer, Jugend- und Konfliktforscher,
sieht in fremdenfeindlicher Gewalt und auch, wie später noch ausgeführt, im
Falle der Gewaltbereitschaft ethnischer Minderheiten, eine Folge von
Desintegrations- und Deklassierungserfahrungen.
Ausdifferenzierungs-,
Enttraditionalsierungs- und Individualisierungsprozesse sind demnach
kennzeichnende Prinzipien für desintegrative Entwicklungen entwickelter
(kapitalistischer) Gesellschaften.
Die rasante ökonomische und
technologische Modernisierung hinterläßt Spuren: Wo gehobelt wird, da fallen
Späne. Es geht nicht mehr nur um Ausgrenzung von Randgruppen, der Bildung von
Zweidrittel-Eindrittel-Gesellschaften. Festzustellen sind Auflösungserscheinungen
basaler Natur:
- Auflösungsprozesse in den Beziehungen
der Menschen untereinander, in ihren Lebenszusammenhängen in Familie und
Milieu.
- Auflösungsprozesse in Bezug auf die
Teilnahme der Menschen an entscheidenden gesellschaftlichen Institutionen
(Schule, Ausbildung, Arbeit, Beruf, Politikbeteiligung).
- Auflösungsprozesse im Rahmen der
Verständigung über gemeinsame Wert- und Normvorstellungen (Moral, Religion,
Politik, Demokratieverständnis).
Willems kommt in seiner Auswertung einer flächendeckend
angelegten Untersuchung zu dem Ergebnis, daß echte
Desintegrationserscheinungen, wie von Heitmeyer insbesondere im Bereich
familialer Desintegration und Nichtteilhabe an der Arbeitswelt postuliert, nur
für einen Teil der Gewalttäter feststellbar seien und relativiert damit
Heitmeyers Thesen.
In der Regel verfügten jugendliche
Gewalttäter des rechtsradikalen Spektrums über niedrige aber zumindest formale
Bildungs- und Berufsqualifikationen. Desintegration werde eher in Form von
Angst vor Desintegration erlebt. Nicht tatsächlich erlebte Arbeitslosigkeit,
sondern Angst vor dieser und dem damit verbundenen sozialen Abstieg und
Konkurrenzen herrsche vor.
Soziale Spannungen,
Ungleichheitserfahrungen sowie Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen böten
wichtige aber keine hinreichenden Erklärungen des Phänomens.
Die individuellen Gegebenheiten der
Täter, deren spezifischen Handlungsmöglichkeiten, Kompetenzen und
Gelegenheitsstrukturen würden hierbei nicht ausreichend berücksichtigt.
Individualisierungstheorie
Auch der Individualisierungsbegriff nimmt
Bezug auf gesellschaftliche Strukturveränderungen. Ins Blickfeld fällt hierbei
besonders der Bedeutungsverlust traditionellen Milieus, Familie, Kollegen
Nachbarschaften für die individuelle Eingebundenheit, Lebensplanung und
Entwicklung. Mit der gesteigerten sozialen und örtlichen Mobilität, der
Vielfältigkeit von Lebenszusammenhängen ist der Wegfall tradierter
Orientierungsmuster verbunden. Die Menschen werden aus ihren ursprünglichen
Strukturen herausgelöst und bleiben auf sich selbst verwiesen. Mit allen
Chancen und Risiken:
- Erforderlich wird eine Vielzahl von
individuell zu treffenden Wahlentscheidungen (Bildung, Beruf, Partnerwahl,
Wohnsitz, Kultur...) und damit zwangsläufig verbunden Orientierungsbedarf.
- Eine weitere Folge des Verlustes
tradierter Orientierungsmuster sind damit auch der Wegfall sozialer Kontrolle
und Sanktionierung durch das Ursprungsmilieu, die Entstehung von Anomieräumen
(Zustand mangelnder sozialer Ordnung, vgl. Durkheim u. Merton).
- Ferner steigern sich die
Konkurrenzbeziehungen der Menschen in Schule und Beruf, auf dem Freizeit- und
Beziehungsmarkt. Individualistische Konkurrenz- und Erfolgsorientierungen
werden zu bestimmenden Werten.
Willems räumt ein, daß aber auch der Individualisierungsansatz
als Erklärungsmuster nicht ausreichend erscheint, das Gewaltphänomen
befriedigend zu beantworten. Denn dem Individualisierungsdruck sind, ebenso wie
im Falle der Heitmeyerschen Desintegrationserklärungen durch Arbeitslosigkeit,
eine Vielzahl von Menschen ausgesetzt ohne entsprechend auffällig zu werden.
Eine entscheidende Bedeutung kommt vor
dem Hintergrund der Individualisierungserscheinungen der Herausbildung
jugendlicher Subkulturen bei der Suche junger Menschen nach Orientierung und
Identität zu.
Wie wir wissen, werden fremdenfeindliche
Straf- und Gewalttaten aus Gruppen heraus begangen. Skinheadgruppen aber auch
andere gewaltaffine Gruppen (Hooligans, Heavy-Metal-Gruppen usw.) spielen
hierbei eine wichtige Rolle. Auch Gewalttäter aus kriminellen Banden sowie
Freizeit und Quartierscliquen. Insbesondere in Skinheadgruppen sammeln sich
junge Menschen mit schulischen und familialen Problemen (broken home, familiale
Gewalterfahrungen) und z.T. hoher Arbeitslosigkeit.
Die Ausdifferenzierung der Gesellschaften
hatte die Bildung von Subkulturgruppen zufolge. Beginnend mit der studentischen
Kultur des 18. Jahrhunderts, der Stürmer und Dränger, Revolte der
Burschenschaften setzt sich die Linie über die Wandervogelbewegung der
Jahrhundertwende sowie der Arbeiterjugend fort. Es folgen die
"Halbstarken" der fünfziger Jahre, später die Rocker-, Hippi-, Skin-,
Punk- und weitere Subgruppen.
Subkulturen verleihen dem einzelnen ein
mehr an Identifikationsmöglichkeiten. Sie sind eher in der Lage spezifische
Lebensprobleme und soziale Daseinsbedingungen besser zu berücksichtigen und
schaffen höhere Verhaltenssicherheit.
Subkulturen sind auch Zeichen des
Protests gegen die Gegebenheiten der Gesamtkultur. In ihnen vollzieht sich,
bezogen auf die Gruppe junger Menschen, Identitätsbildung in Abgrenzung von der
Erwachsenenwelt. Dies manifestiert sich auch in spezifischer Uniformität
(Kleidung, Haartracht, Körperschmuck usw.), "Gefühlen", Sprache und
Kultur (Musik), aber gegebenenfalls auch durch eine eigene Anschauung zu
Aggression und Gewalt.
Subkulturen bieten auch den Raum, in dem
sich individuelle Selbstinszenierung auf dem großen Markt der Möglichkeiten und
Konkurrenzen realisieren läßt.
Die konkreten Selbstdarstellungen und
Inszenierungen sind höchst unterschiedlich, teilweise beruhen sie auf
Wertmustern der Stammkulturen (Hippikultur-Bildungsbürgertum,
Rocker-Arbeiterklasse), teilweise auf spezifische Lebenslagen (Familie, Wohn-,
Schul- und Arbeitssituation). Zum Teil sind sie auch auf dem massenmedialen
Markt jugendlicher Individualitätsmuster frei gewählt.
Die Bildung jugendlicher Subkulturgruppen
als Raum zur Identitätsbildung und Ausdruck sozialen Protests gilt natürlich
auch für Migrantengruppen in unserer Gesellschaft. Eindrucksvoll wird in einer
Veröffentlichung des Spiegel (" Ausländer und Deutsche: Gefährlich fremd.
Das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft", Nr. 16/ 14.4.1997) auf
den sich sammelnden sozialen Sprengstoff durch die gescheiterte Integration
junger Türken und jugendlicher Aussiedlern aus den GUS Staaten verwiesen.
Entlang der Heitmeyerschen These der Desintegration wird aufgezeigt, wie
Subkulturangehörigkeit, die sich nicht im Prozeß des Älterwerdens, der
Berufstätigkeit, Familien- oder Partnerschaftsgründung aufgelöst wird,
verfestigt zu einer Getthoisierung ethnischer Gruppen. Hinwendung zu
religiös-militanten Gruppen, bzw. Einbindung in die organisierte Kriminalität.
All dies mit der Erwartung massiven sozialen Sprengstoffes.
Persönliche
Anmerkungen
Ich meine, nun zum Ende kommend, eine
Reihe von Stichpunkten genannt haben zu können, die zu weiteren Überlegungen im
Rahmen dieses Kolloquiums einladen.
Wenn also Desintegration, Nichtteilhabe,
Auflösungsprozesse, Individualisierungszwang, Abdrift in Subkultur,
Kriminalität und Gewaltbereitschaft Begleiterscheinungen einer sich wandelnden
Gesellschaft sind, entstehen Fragen nach Lösungen auch an die Bewährungshilfe.
Moderne Gesellschaften gleichen rasenden
Intercitys in einer sich immer weiter ausdehnenden Landschaft. Scheinbar
grenzenlos.
Vorbei die Zeiten der Bummelzüge, die
noch manchem "Lahmen" ein Aufspringen ermöglichten.
Wenn wir Züge auch nicht bremsen können,
so sollen wir uns doch um Zustiegsmöglichkeiten bemühen.
Wichtig scheint mir hierfür eine vielfältige
methodische Arbeit mit unserem Klientel, zu der auch die Gruppenarbeit gehört.
Hindern daran sollen weder die
scheinbaren Antagonismen von Betreuung und Kontrolle und auch nicht die formalen,
an die Bewährungshilfe gerichteten Erfordernisse, deren Auswirkungen auf eine
inhaltsreiche Arbeit weiter diskussionswürdig bleiben.
Birgit
Schrankel, Bewährungshelferin beim LG Limburg
Zum Beginn von Gruppensitzungen und Einführung
in die Thematik bei fortlaufenden Veranstaltungen
Einleitung
Vorbereitung auf die Gruppenarbeit,
Überlegungen zum Beginn von Gruppensitzungen, Beschäftigung mit dem Thema,
Zielvorgaben und Strukturierung sind für mich wichtige Elemente in der Arbeit
mit Gruppen.
Aufgrund der von mir gemachten
Erfahrungen mit Probandengruppen seit November 1995 (1. Gruppe: 21
Gruppenabende mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, 2. Gruppe: 12
Veranstaltungen mit wöchentlichen Treffen, beide Gruppen leitete ich in
Zusammenarbeit mit einem Kollegen; 3. Gruppe: offene Gruppe mit Mitgliedern die
nach § 64 StGB untergebracht waren) entschied ich mich zum Abschlußkolloquium
für o.g. Thema und entwarf folgendes Arbeitspapier:
1.
Gruppenbeginn - eigene Eindrücke des Gruppenleiters
Psychosoziale
Ebene
- wie erlebe ich den Beginn von Gruppen,
z.B. bei einer Fortbildung oder bei einer Besprechung
- wann fühle ich mich wohl(?) bei einer
Tasse Kaffee, nach einer Vorstellungsrunde
- wer gehört zur Gruppe(?) wer ist
entschuldigt(?) wer ist mir wichtig(?)
Sachebene
- ging aus dem Einladungsschreiben
hervor oder ist von der letzten Sitzung bekannt, um was es heute geht?
- warum kommt die Gruppe zusammen?
- ist mir eine Zielvorgabe wichtig oder
das Wiedersehen mit "alten Bekannten?
Erwartungen des Gruppenleiters - Umgang
mit Frustrationen - Vorbereitung -
Auswahl von verschiedenen Möglichkeiten
2.
Übertragung auf die Probandengruppe
- was brauchen Teilnehmer (TN), um
wieder miteinander vertraut zu werden?
- Raum lassen, um aktuelle Ereignisse
mitzuteilen
- neue Rollenbesetzung, wer sitzt neben
wem?
- wer fehlt und warum?
- beim letzten Mal anknüpfen, Vertrautes
erwähnen
- Zeitplan, Ende
- gemeinsames Thema finden
- um was geht heute?
- Zusammenhang zum Gesamtprozeß
herstellen
3. Befindlichkeit des
Gruppenleiters gegenüber der Thematik
- brauche ich ein Thema, ein Medium,
einen roten Faden?
- was will ich erreichen, um was geht es
(Selbstfindung als Gruppenleiter)?
- was macht es mir schwer, das Thema aus
der Gruppe heraus sich entwickeln zu lassen?
- was macht es mir schwer, auf daß
einzugehen, was die Teilnehmer sagen oder aus dem Prozeß heraus ein Thema zu
benennen?
- Zieldefinierung; mit was sollte sich
der Gruppenleiter auseinandersetzen?
- welche Gruppenerfahrungen sollte die
TN machen?
- warum und wie erreiche ich das?
- Themenumfang und Zeitvorgaben beachten
- Eingehen auf das Thema aus der Gruppe
- Begeisterung durch die eigene Person,
Motivation durch Medium
- "leite
nur Themen, die Du selber formuliert hast"
4.
Bedeutung des Themas für die Gruppe / Teilnehmer
- wird es angenehm oder unbequem sein,
sich damit auseinanderzusetzen, Umgang mit Widerständen
- gibt es Scheu vor anderen TN von sich
selbst zu berichten?
- wie nah ist das Thema?
- wie kreativ sind die TN mit Medium
(z.B. Farbe, Video)?
- welchen Bezug haben Probanden zum
Thema
- gibt es Erfahrungen aus dem Alltag
dazu?
- Umstände (Unterstellung) machen
Auseinandersetzung mit dem Thema (z.B. Alkohol) erforderlich
- Vertiefen von Themen, die TN benennen
- Thema orientiert sich an sichtbar
gewordener Rollenverteilung oder Machtanspruch, z.B. Co-Leiter
- Aktivierung von unerledigten Themen
aus dem Untergrund
- Beteiligung des Leiters an der
Themenbearbeitung
- Unterbrechung des Themas durch Pausen
- Widerstände und Störungen zum Thema
machen
Nach der
Veranstaltung: Rückblickend die
Einführung in die Thematik betrachten, mögliche Folgen für’s nächste Mal...
Literaturhinweis: Langmaack u. Braune-Krickau, "Wie die
Gruppe laufen lernt", Beltz-Verlag (ISBN 3-621-27172-4)
1.
Gruppenbeginn - eigene Eindrücke des Gruppenleiters
Die Gesichtspunkte des Arbeitspapieres
werden beleuchtet auf der Sachebene, d.h. den Inhalt betreffend und auf der
psychosozialen Ebene, d.h. den emotionalen und sozialen Bereich betreffend.
Zunächst habe ich mich gefragt, was mir
persönlich wichtig ist. Wie erlebe ich den Beginn von Gruppen, wann fühle ich
mich wohl (ich habe gerne etwas zu trinken und eine Übersicht, wer zur Gruppe
gehört, Namen und Institutionen, ich schaue nach vertrauten Gesichtern).
Der Einstieg ist für mich leichter, wenn
ich weiß um was es geht, z.B. Erfahrungsaustausch, Erarbeitung eines Konzeptes.
Zur Vorbereitung auf die Gruppenarbeit
für mich als Gruppenleiterin gehört noch eine Auswahl von verschiedenen
Möglichkeiten des Einstiegs, der Methoden (Vorstellungsrunde, Partnerinterview,
Aufwärmspiele, je nach Teilnehmerzahl Bildbetrachtung).
2.
Übertragung auf die Probandengruppe
Meine Eindrücke übertragen auf die Probandengruppe
heißt, ich ermögliche ihnen einen gemütlichen Beginn mit einer Tasse Kaffee
oder Tee, es gibt etwas zu knabbern, möglicherweise brauchen die Probanden
zuerst einmal eine Zigarette, um ihnen so das Ankommen zu erleichtern. Es
erfolgt noch eine Klärung, wer zur Gruppe gehört und die Mitteilung wer
entschuldigt ist.
Das Wohlbefinden auf der psychosozialen
Ebene ist wichtig, um auf der Sachebene arbeiten zu können.
Auf der psychosozialen Ebene ist es von
Bedeutung den Probanden Raum zu lassen, Zeit einzuplanen um aktuelle Ereignisse
mitteilen zu können, die in der Zwischenzeit passiert sind (so erzählt ein
Proband auf einem Video, daß er in der Zwischenzeit eine Anzeige wegen
Ruhestörung kassiert hat). Manchmal können dies auch scheinbar belanglose Gespräche
sein.
Auf der Sachebene heißt das:
Beim letzten Mal anknüpfen, eine
Beziehung herstellen zu dem was gewesen ist, z.B. dies ist das 2. Gespräch mit
einem Referenten und dazu sollen Fragen erarbeitet werden. Durch solch einen
Einstieg können auch Erwartungen benannt werden.
3.
Befindlichkeit des Gruppenleiters gegenüber der Thematik
Bei der Einführung in die Thematik,
beleuchtet auf der psychosozialen Ebene, ist für mich die Klärung der Frage
wichtig: Warum brauche ich ein Thema, ein Medium, einen roten Faden das
sogenannte "Schlüsselchen". In der Vorbereitung kann ich mich damit
beschäftigen und meine eigenen Beziehungen dazu beleuchten. Dies gibt mir die
Sicherheit, erleichtert die Rollenfindung als Gruppenleiter. Der Einstieg über
ein Medium zu Beginn kann zum Anschub des Gespräches dienen, kann neugierig
machen auf das Thema und auflockern.
Zur Verdeutlichung stelle ich hier kurz
ein Praxisbeispiel zum Thema "Eigene Gruppenerfahrungen bezogen auf
Inhalte der Gruppenarbeit" dar.
Aus einer Auswahl von Bildern und Fotos
sucht sich jeder Teilnehmer eines aus. Herr O. kann sich nicht entscheiden,
deshalb erhält er ein Foto von Herrn B., von dem dieser meint, daß es zu Herrn
O. paßt. Herr D. beginnt und erzählt: Das Bild erinnere ihn an Garten und Grillen,
draußen arbeiten. Es stelle eine "Dorfidylle" dar. Dabei fällt ihm
gute Nachbarschaft ein und nette Gespräche. Wir versuchen den Bezug zur
Möglichkeit der Gestaltung der jetzigen Gruppe herzustellen.
Herr O., der ein Foto von einer
Stereoanlage vor sich liegen hat, erzählt, daß Musik sein Hobby sei. Er höre
gerne Popmusik und die anderen schlagen ihm vor, doch selbst einmal Gitarre zu
spielen, was er aber verneint.
Herr Be. hat sich ein Bild mit einem
Rennwagen ausgesucht, von dem Autorennen Paris-Dakar. Es erinnerte ihn an
Abenteuer, an seine Grenzen kommen. Als er gefragt wurde, ob er Lust zu einer
Klettertour hätte, verneint er dieses und berichtet satt dessen von dem Besuch
einer Mühle bei Weilburg.
Herr K. hat sich ein Bild von einem Kanu ausgesucht,
er möchte gerne damit mal die Lahn befahren. Er hatte auch schon überlegt, den
Bootsführerschein zu machen.
Bei den anschließenden Überlegungen wird
als gemeinsame Gruppenaktivität "Grillen" favorisiert, mit vorheriger
Aktivität, wie z.B. wandern. Außerdem erwähnt die Gruppe, daß sie Freunde und
Bekannte dazu einladen wollen.
Auf der Sachebene stellt sich die Frage:
Was will ich mit der Gruppe erreichen? Welche Erfahrungen sollen gemacht
werden? Das Medium, hier die Bilder, dient der Motivation.
4.
Bedeutung des Themas für die Gruppe/Teilnehmer
Für die Probandengruppe ergibt sich die
Fragestellung, wie kreativ die Teilnehmer mit dem Medium sind, was ihnen mehr
liegt, z.B. Bildbetrachtung, Malen oder Video, schriftliche Auswertung.
Von Bedeutung ist es, einen Bezug zu den
eigenen Erfahrungen herzustellen (z.B. welche Erlebnisse haben sie mit der
Polizei gemacht).
Bei den Vorgaben durch ein Thema ist
immer wieder zu beobachten, wie nahe den Teilnehmern das Thema gehen kann, z.B.
bei der Auseinandersetzung mit der Straftat. Die eigenen Wünsche und Themen
sind genügend zu berücksichtigen.
Die auf der Sachebene sichtbar gewordene
Rollenverteilung (z.B. Wortführer) kann zum Thema werden oder
Beziehungskonflikte. Interessant könnte auch sein zu hören, was die Teilnehmer
in der Pause sprechen.
Nach Beendigung der Veranstaltung ist zur
Reflexion zu fragen: Paßte der Einstieg, das Medium zur Thematik?
Holger
Rebscher, Bewährungshelfer beim LG Darmstadt Beratungsstelle Bensheim
Finden von Zielen für persönliche Veränderungen
mit Probanden gruppen
Im Vorfeld meiner letzten
Gruppenarbeitsmaßnahme war mir bewußt, daß ich einmal probieren wollte,
zusammen mit Probanden Ziele für ihre persönliche Veränderung zu skizzieren. In
meiner Gruppe befanden sich Probanden, mit denen ich schon teilweise über
einige Jahre Erfahrungen in der Einzelarbeit hatte. Diese Probanden waren mit
ihrer Lebenssituation äußerst unzufrieden - es gelang ihnen aber nicht,
irgendwelche Veränderungen in die Wege zu leiten.
Viele der Probanden in der Gruppe litten
unter erheblichen Drogenproblemen. In mehreren Sitzungen hatten wir versucht,
die individuellen Ursachen der Drogenprobleme herauszuarbeiten und zu
skizzieren. Ein weiterer Schwerpunkt der Gruppenarbeit war, eine Vorstellung
über die persönliche und berufliche Zukunft zu entwickeln.
Über den Zeitraum von mehreren Monaten
arbeiteten alle Probanden der Gruppe intensiv mit und waren sichtlich gewillt,
an ihren Lebensumständen Veränderungen herbeizuführen. Trotz der Intensität der
gemeinsamen Arbeit und der für mich immer wieder erstaunlichen Offenheit, mit
der die Probanden ihre persönlichen Probleme thematisierten, gelang es keinem
Gruppenmitglied, wesentliche Veränderungen seiner persönlichen
Problemkonstellation in die Wege zu leiten.
Ich stelle mir also die Frage, wie es mir
gelingen könnte, bei den Probanden aus dem Wunsch (d.h. einer eher utopischen
Vorstellung) ein Wollen (d.h. eine reale Vorstellung) für die Veränderung der
persönlichen Zukunftsperspektive zu erzielen.
Ausschlaggebend für meine Überlegungen
war, daß die Schritte für eine persönliche Veränderung etwa wie folgt aussehen:
WÜNSCHEN < WOLLEN <
PLANEN < HANDELN < VERÄNDERN
Es war uns in der bisherigen
Gruppenarbeit nicht gelungen, die Stufe von Wünschen zum Wollen zu nehmen.
Da bei unseren Probanden erfahrungsgemäß
die persönliche Motivation mehr durch Vorstellungen aus der Gegenwart als durch
Vorstellungen aus der Zukunft erfolgt und es generell nur unzureichende
Vorstellungen von persönlichen Zuständen in der Zukunft gibt, die mit
Wohlbefinden verknüpft sind, wollte ich versuchen, gemeinsam mit meinen
Probanden konkrete Ziele für ihre persönliche Veränderung in der Zukunft zu
entwickeln.
Ich konzipierte ein 2-Tages-Seminar, in
dessen Verlauf ich anhand bestimmter Fragen versuchen wollte, jeden einzelnen
Probanden zur Entwicklung eines für ihn verlockenden Zielsatzes in Bezug auf
seine persönliche Entwicklung zu motivieren.
Das 2-Tages-Seminar führte ich im Juni
1997 zusammen mit drei meiner Probanden an einem Baggersee bei Darmstadt durch.
Der vierte Proband, der fest zur Gruppe gehörte, konnte aufgrund einer
kurzfristig erlittenen Sportverletzung an der Veranstaltung nicht teilnehmen.
Ich begann, das 2-Tages-Seminar mit der
Frage: Wozu kann ich mich gut motivieren (positive Motivation)? Und wie mache
ich das? Anhand dieser Fragen konnten die Probanden gut erkennen, daß zu jeder
Motivation im Hinblick auf eine Aktivität eine sinnlichere Repräsentation
gehört: So motiviert man sich möglicherweise zu Sport, durch die Vorstellung
des guten Körpergefühles, das man danach haben wird. Zu einer außerordentlichen
Arbeitsleistung motiviert man sich möglicherweise auditiv, indem man durch eine
innere Stimme das darauffolgende Lob des Chefs hört.
Durch die Vorstellung des Geruches oder
des Geschmackes von einem guten Essen motiviert man sich möglicherweise, in die
Küche zu gehen und mit dem Kochen zu beginnen. Durch die visuelle Vorstellung
eines aufgeräumten, sauberen Schreibtisches erlangt man möglicherweise
Motivation, längst überfällige Büroarbeiten in Angriff zu nehmen.
Wichtig war, daß ich den Probanden anhand
dieser Übungen verdeutlichen konnte, daß eine positive, verheißungsvolle,
sinnliche Repräsentation in der Zukunft ausschlaggebend ist für eine
ausreichende Motivation.
Dann erarbeiten wir anhand verschiedener
Fragen die Hauptproblemstellung der Probanden zur Zeit.
Nachdem jeder Proband relativ konkret
seine persönliche Problemstellung benannt hatte, führte ich die Probanden mit
Hilfe verschiedener Fragen dazu, sich vorzustellen, wie sie sich selbst bzw.
wie ihr direktes Umfeld sie nach der Lösung ihrer Hauptprobleme erleben wollen
würde. Hierdurch gelang es jedem Probanden, eine konkretere Vorstellung zu
entwickeln, wie er sich zukünftig gerne selber sehen würde, bzw. wie er von
seinem Umfeld gerne wahrgenommen werden würde. Aus diesem Material, entwickelte
ich zusammen mit den Probanden persönliche Zielsätze.
Für die Zielsätze gab ich folgende
Kriterien vor:
- Der Zielsatz sollte positiv formuliert
sein (damit es sich lohnt, auf etwas zuzugehen)
- Der Zielsatz sollte
eigenverantwortlich erreichbar und in der Gegenwart formuliert sein (um
klarzumachen, daß man hier und heute damit beginnt, ihn umzusetzen)
- Der Zielsatz sollte in der Ich-Form
formuliert sein (um die Eigenverantwortlichkeit nochmals zu unterstreichen)
Die Zielsätze der Probanden waren:
1. "Ich bin selbstbewußt und
akzeptiert meine Gefühle und Gedanken."
2. "Ich stürze mich uneingeschränkt
auf meine Ziele."
3. "Ich habe Selbstvertrauen und
Unabhängigkeit in mir."
Diese Zielsätze präsentierten die
Probanden angefeuert von den anderen Teilnehmern der Gruppe vor laufender
Videokamera.
Danach machten wir uns daran, die
Ökologie der persönlichen Ziele zu überprüfen. Ich machte den Probanden klar,
daß jede Veränderung weitreichende Konsequenzen - auch für andere aus dem
Umfeld - hat. Wenn man in seinem Leben eine persönliche Veränderung erzielen
will, muß man sich dieser Konsequenzen bewußt sein und für sich im voraus klarhaben,
das man diese Veränderungen uneingeschränkt akzeptiert. Ich stellte den
Probanden also die Frage, wie verändert sich mein Leben, wenn ich mein Ziel
erreicht habe? Wie sieht es aus, wenn ich es durch die Augen der davon
Mitbetroffenen sehe? Was ist der Preis? Was bekomme ich und auf was verzichte
ich?
Danach setzte ich mich mit den Probanden
zusammen, mit dem Nutzen des alten Zustandes bzw. Verhaltens, auseinander. Wir
bearbeiten die Frage, welchen Nutzen hat das bisherige Verhalten? Und ist der
Nutzen im neuen Ziel erhalten, oder bin ich bereit, ihn für dieses aufzugeben?
Ich versuchte, den Probanden klarzumachen, daß die Tatsache, daß ein bestimmtes
Verhaltensschema sich über längere Zeit bei ihnen gehalten hat, durchaus aus
meiner Sicht ein Beleg dafür ist, daß es für diese Verhaltensschemata einen -
möglicherweise nicht offensichtlich sichtbaren - positiven Aspekt gibt. Danach
setzten wir uns mit der Frage der Bedingung, die zur Erreichung des Zieles
gesetzt war, auseinander. Hier stelle ich den Probanden folgende Fragen:
Was hindert mich, das Gewünschte zu
erreichen?
Welche Überzeugung brauche ich, um es zu
bekommen?
Welche Schritte will ich tun - wie sieht
der erste aus?
Welche Verhaltensweisen muß ich ablegen -
verändern - erwerben?
Die Probanden setzten sich mit diesen
Fragen äußerst intensiv auseinander, und es gelang jedem Einzelnen, sehr
konkrete Vorstellungen über die Bedingungen und Hindernisse seiner persönlichen
Veränderungsarbeit zu entwickeln.
Danach erinnerte ich die Probanden noch
einmal an den Auftakt unseres Seminares und bat sie, jeden für sich eine
sinnliche Repräsentation für das Erreichen ihres persönlichen Zieles zu
entwickeln. Ich stellte ihnen die Frage, woran sie - in ihren Sinnen - erfahren
würden, daß sie ihr persönliches Ziel erreicht hätten. Die Probanden
schilderten hier sehr anschaulich die in ihrer Vorstellung entwickelten
sinnlichen Erfahrungen für das Erreichen ihrer persönlichen Ziele.
Zum Abschluß sprach ich den Probanden
eine Phantasiereise, in der ich sie zurückführte zu Erfahrungen aus ihrer
Kindheit, in denen sie ihre persönliche Kraft wirklich erlebt und eingesetzt
hatten, und wo sie Vertrauen zu sich selbst und in die eigene Stärke hatten.
Diese Phantasiereise führte dann von der Vergangenheit in die Zukunft, und ich
integrierte die Zielsätze der Probanden und die jeweilige sinnliche Erfahrung
für das Erreichen des persönlichen Zieles.
Das 2-Tages-Seminar am Baggersee war für
mich eine äußerst wichtige und intensive Erfahrung.
Nach langem hin und her hatte ich mich
entschlossen, mit meinen Probanden einmal ganz intensiv-methodisch zu arbeiten.
Auch die Tatsache, daß ich mich entschloß die Arbeitsergebnisse durch das
Sprechen einer Phantasiereise zu integrieren, war für mich das Betreten von
Neuland.
Ich hätte in der Vorbereitungszeit nie
gedacht, daß die Probanden so intensiv neugierig und motiviert mitarbeiten
würden. Die Bereitschaft, die eigene Situation differenzierter zu betrachten
und eine Orientierung für Veränderungsmöglichkeiten zu finden, war bei jedem einzelnen
Probanden dermaßen ausgeprägt, daß für mich diese zwei Tage eindeutig das
intensivste Erlebnis meiner bisherigen Arbeit als Bewährungshelfer darstellen.
Alle Probanden, die an diesem Seminar
teilgenommen haben, haben danach Schritte - in Bezug auf ihre persönlichen
Veränderungsinteressen in die Wege geleitet. Hierbei kam es selbstverständlich
auch zu Rückschlägen. Es ist aber aus meiner Sicht klar, daß jeder, der die
zwei Tage mitgemacht hat, ein gutes Stück persönliche Stagnation bzw.
persönliches Phlegma über Bord werfen konnte.
Wenn es gelingen kann, zusammen mit
Probanden authentische, realistische persönliche Zielvorstellungen zu
entwickeln, kann dieses ein wesentlicher Schritt in Bezug auf eine persönliche
Veränderungsarbeit sein.
Einer der Teilnehmer hat am Baggersee den
endgültigen Entschluß gefaßt, eine Langzeittherapiemaßnahme durchzuführen. Ein
weiterer Teilnehmer hat für sich geklärt, in welches Arbeitsfeld er gehen
möchte und hat mittlerweile in diesem Bereich eine Lehre begonnen. Ein dritter
Teilnehmer hat für sich selbst geklärt, daß er das massiv ihn einschränkende
häusliche Umfeld verlassen muß, um seine persönlichen Stärken zu entfalten.
All diese Ziele sind nicht von heute auf
morgen zu erreichen, und es ist natürlich, daß sich hier vielfältige materielle
Hindernisse auftun. Diese Hindernisse können aber zu einem Großteil überwunden
werden, wenn eine klare Vorstellung über die gewünschte Zukunft und eine damit
verbundene ausreichende Motivation besteht.
Markus
Weinandt, Bewährungshelfer beim Landgericht Gießen
Acht Thesen für
erlebnispädagogische Arbeit mit Probanden
Die nachfolgenden acht Thesen für
erlebnispädagogische Arbeit stammen von Stephan Quensel und sind in "Erlebnispädagogik
mit Randgruppen" von Nicolai, Quensel, Rieder nachzulesen.
1. Entwickle die
positiven Seiten und Fähigkeiten, setze den Probanden in dem Bereich ein, wo er
schon etwas kann, weiß und anbietet,
- und versuche nicht dauernd, seine
schlechten Seiten zu kurieren
Oftmals werden in Berichten, Gutachten,
Stellungnahmen die negativen Eigenschaften und Vorkommnisse aufgezeigt
(Darstellung von Straftaten in Anklagen und Urteilen). Durch diese Suche nach
Schwierigkeiten werden diese betont und in den Vordergrund geschoben
(Stigmatisierungs- und Labelingtheorie).
Viele Probanden haben positive Seiten,
die sie oft nicht kennen oder nicht zeigen (sportlich - handwerkliche -
musische Fähigkeiten, Organisationstalent) oder mit denen sie falsch umgehen,
was sich in Straftaten ausdrückt.
Durch einen vom sportlichen Erlebnis-
oder vom Abenteuerkurs ausgehenden pädagogischen Ansatz, der die Probanden aus
der üblichen Erfahrungswelt herausnimmt und in praktischen Fähigkeiten ansetzt,
können schrittweise Erfolge und Anerkennung vermittelt werden, um später auch
kritisch an die Probleme und Schwierigkeiten heranzugehen, die selbst dann noch
übrig bleiben.
2. Arbeite im
praktischen Bereich mit ihm, in Aktivitäten, die ihm vertraut sind,
- und rede nicht dauernd
Unser Klientel kommt meist aus sozial
benachteiligten Schichten und hat oft unliebsame Erlebnisse mit der Justiz
hinter sich. Im Laufe ihrer Karriere werden sie dauernd vernommen,
kontrolliert, interviewt, Anamnesen werden aufgenommen, Gutachten erstellt,
Anklagen und Urteile verlesen.
Kein Wunder, daß sie nicht mehr reden
wollen, sondern eher Bewegungsdrang haben, Lust zum Laufen, um ihren Körper
auszuprobieren. Oft sind sie auch z.B. handwerklich geschickter als wir und
können "besser als wir" ein Auto knacken, Automaten erleichtern, aber
auch schnitzen, malen, brutzeln, Mopeds auseinandernehmen.
Man spricht davon, daß die verbale
Intelligenz gegenüber der praktischen Intelligenz häufig unterentwickelt ist,
weshalb man im praktischen Bereich ansetzen sollte, um von hieraus langsam
voranzugehen.
3. Normalisiere
die Beziehung des Probanden zu seiner Umwelt und zu dir als Sozialpädagoge,
- anstatt
ihn mit Gleichgestörten zusammenzuzwingen und dich selbst als unfehlbar
darzustellen.
Soziale Beziehungen zur Umwelt (Familie,
Schule, Arbeitsstelle usw.) sind gestört, d.h. dadurch gekennzeichnet, daß er
dort als Versager, Dieb und kriminell bezeichnet wird und sich häufig so
benimmt wie es erwartet wird.
Diese Störung gilt besonders für das Verhältnis
zu Erwachsenen (Eltern, Lehrern, Polizisten, Richtern, Bewährungshelfern), die
sich ungeheuer gut vorkommen, sein Bestes wollen, ihn aber doch bestrafen
müssen.
Der erwachsene Pädagoge darf nicht zu
sehr kumpeln, denn er steht trotz allem auf einer anderen Ebene. Er muß etwas
anbieten können, soll auch mal Fehler machen, mal unterlegen sein und soll vom
Probanden auch etwas annehmen können: Eine Niederlage oder ein Geschenk.
Erlebnispädagogik bietet diese
Möglichkeit, z.B. in der gemeinsamen Erschöpfung beim Wandern/Klettern/Paddeln
usw. Beim geselligen Zusammensein kann man Niederlagen rasch vergessen und
Siege feiern.
4. Betone die
Gruppenbeziehung der Probanden untereinander, ihre Kontakte zu Gleichaltrigen,
ihre Rollen im alltäglichen Miteinander,
- anstatt dauernd in ihrer individuellen
Kindheit oder Psyche herumzuwühlen.
Probanden leben und bewegen sich in ihrer
Gruppe, beziehen dort Wertschätzung und Akzeptanz und definieren sich selbst
von dieser Gruppe aus.
Diese Gruppenbezogenheit gilt selbst für
ihre Straftaten.
Gruppe prägt von klein auf und eine
Pädagogik, die gegen Gruppenbeziehungen arbeitet, ist vom Beginn an zum
Scheitern verurteilt.
Jeder Mensch erlebt mehr oder weniger
starke Sozialisationsstörungen. Durch negativ erlebte und verarbeitete
Sozialbeziehungen werden die Störungen verstärkt und lassen Probanden immer
wieder auf eingeschliffene Verhaltensmuster hereinfallen, z.B. wenn er denkt,
daß er wieder ausgetrickst wird oder versucht wird, ihn zu manipulieren.
Erlebnispädagogische Aktivitäten
verstärken das Gruppenbewußtsein und schaffen ein "Wir-Gefühl".
5. Unterstreiche
den Stellenwert von Freizeit, Spaß und Freude am Spiel,
- anstatt immer nur von Arbeit, Ordnung
und Pflichtbewußtsein auszugehen
Die freie Zeit, das Hobby, das
Do-it-yourself gewinnt immer deutlicher an Wert. Die Deutschen geben Jahr für
Jahr sehr viel Geld für Urlaub aus. Beruflich zeichnet sich die Gesellschaft
durch eine immer höhere Qualifikation aus.
Probanden können in beiden Bereichen
schlecht mithalten, wissen in Freizeit oder Arbeitslosigkeit nichts anzufangen,
wissen nicht wie man mit wenig Geld Urlaub macht.
Delikte aus Langeweile sind Beleg und
Konsequenz aus dieser Situation. Erlebnispädagogik kann Defizite abbauen und
zeigen, daß es sich lohnt für Freizeitaktionen etwas zu tun und kann
gleichzeitig zeigen, wie man das macht, auch wie man mit Sozialmitteln etwas
anfangen kann, um diese freie Zeit zu nutzen.
6. Biete dem
Probanden die Möglichkeit, Erfolge zu sammeln, um hierauf aufzubauen, sowie offen
mit seinen Schwierigkeiten umgehen zu können,
- anstatt dauernd nach "seinen
Problemen" zu fragen
Charakteristisch für Probanden ist, daß
sie bislang immer Mißerfolge gesammelt haben. Den einzigen Erfolg/Bestätigung
fanden sie im abweichenden Verhalten.
Aus Mißerfolgen resultiert fehlendes
Selbstvertrauen also Mißtrauen gegen sich selbst, das auch zukünftig weitere
Mißerfolge erwarten läßt.
Mit Mißerfolgen kann man sich
arrangieren, kleine Erfolge wirken oft so beängstigend, daß man möglichst
schnell wieder aufgibt, um sich bloß nicht aus dem bekannten Zustand zu
entfernen.
Lernen beruht darauf, in kleinen Stufen
Fortschritte (Erfolge) zu machen. Anfangs durch Dritte ermutigt, um später auf
den ersten eigenen Erfahrungen aufbauen zu können.
In der erlebnispädagogischen Arbeit
finden sich in allen Bereichen Möglichkeiten, Erfolge zu sammeln. Hier kann man
auch lernen Vertrauen zu finden oder einzustecken und Niederlagen auszuhalten.
Eine therapeutische Aussprache ergibt
sich meist von selbst.
7. Vermittle ihm
die Gelegenheit, praktisch zu planen, zu organisieren, Regeln zu setzen, wie zu
akzeptieren sowie Verantwortung zu übernehmen,
- anstatt ihn nur als Objekt zu verwalten
Probanden werden verwaltet, einem Regel-
und Behördenapparat ausgesetzt, den sie kaum durchschauen, der sie mit der für
sie unverständlichen Behördensprache anredet und uneinsehbare Entscheidungen
trifft.
Sie haben nie die Möglichkeit gehabt,
außer im abweichenden Verhalten, längerfristig eine Sache zu planen. Sie werden
von der einen zur anderen Stelle geschoben, Geld wird von der sozialen
Verwaltung eingeteilt, sie können nicht damit umgehen.
Vermutlich haben sie nie gelernt,
außerhalb der Clique Regeln zu setzen oder Verantwortung zu tragen.
Planung zahlt sich nur aus, wenn was
dabei herauskommt. Verantwortung nur, wenn der andere nicht sowieso den
Mißerfolg erwartet.
Probanden sollten unbedingt in Planungen
aktiv mit einbezogen werden, sollten organisieren und Grundregeln diskutieren.
Während der Aktivität erfährt dann jeder was es heißt, sich aufeinander
verlassen zu können, Verantwortung zu übernehmen und warum bestimmte Regeln
sinnvoll waren.
8. Arbeite mit
allen Probanden, vor allem auch mit den Schwächeren und den weniger Begabten,
die immer vergessen werden,
- anstatt immer nur auf dieselben
"Stars" hereinzufallen.
Wir alle arbeiten lieber mit den
Probanden, die uns antworten, auf unsere Vorschläge eingehen, bei denen wir
rasche Erfolge sehen, die uns sympathisch sind und mit denen es Spaß macht,
zusammen zu sein.
Diese Einstellung entspricht in
bestimmter Weise den Bedürfnissen der "Vergessenen", die nach
schlechten Erfahrungen mit wohlwollenden Kollegen von uns endlich in Ruhe
gelassen werden wollen.
Kaum einer dieser Probanden hat sich
restlos aufgegeben, solange er sich nicht mit oder ohne Alkohol/Drogen langsam
oder schneller selbst umbringt. Sie leiden unter ihren Defiziten und wollen wie
wir anerkannt sein und Erfolge haben.
Grundsätzlich sind alle Probanden
zugänglich, wir müssen nur den richtigen Schlüssel finden.
Erlebnispädagogik bietet die
Möglichkeiten, intensivere Kontakte auch zu Probanden aufzunehmen, die sich
nicht unterhalten wollen. Z.B. bei Ausflügen in Wäldern, Gebirgen, auf Flüssen
und Seen bei denen oft die Stillen gesprächig werden, vielleicht, weil sie hier
in ihrer Natur sind.
Erlebnispädagogik mit ihren
Möglichkeiten, das zeigen die acht Thesen auf, kann eine Methode der
sozialpädagogischen Resozialisierungsarbeit mit unseren Probanden sein.
Sie bietet die Chance für beide Seiten,
Bewährungshelfer und Proband, die Beziehung zur jeweils anderen Seite auf einer
anderen Ebene zu entdecken.
Für uns mit dem Effekt, auch an bisher
unzugängliche Probanden heranzukommen und dadurch evtl. Nachdenken über - und
ändern bisheriger - Verhaltensweisen anzustoßen.
Richard Lulay,
Bewährungshelfer beim LG Darmstadt, Beratungsstelle Bensheim
Erlebnispädagogik in
der Praxis:
5 Tage auf dem
mittelfränkischen Camino
0.
Einführung
Zusammen mit meinen Kollegen, Peter
Reckling, habe ich mit fünf Probanden vom 30.04. bis zum 04.05.1997 eine
Wanderung auf dem mittelfränkischen Jakobsweg (Camino) von Oberweihersbruch bei
Nürnberg bis nach Rothenburg ob der Tauber durchgeführt. Ca. 80 Kilometer in
Tagesetappen zwischen 19 und 28 km. Übernachtet haben wir in einem
Gemeindezentrum, in einer Diakoniestation, einem alten Pfarrhaus, im Heuhotel.
Wir haben uns selbst verpflegt und uns zum Ziel gesetzt, mit einem Betrag von
DM 40,- pro Teilnehmer auszukommen.
Die Auswahl der Probanden war nicht
gezielt, zwei der fünf hatten eine Drogentherapie durchgeführt, einer wurde mit
Polamidon substituiert.
Im folgenden möchte ich Elemente,
die mir bei dieser Wanderung deutlich geworden sind, benennen.
1.0 Die
Idee:
Unsere Wanderung und auch der markierte
Wanderweg knüpft an die Zeit der großen Pilgerzüge nach Santiago de Compostella
in Nordwestspanien an. Entlang unserer Wanderstrecke stießen wir immer wieder
auf Jakobskirchen, und wir folgten der Markierung, einer weißen Muschel auf
blauen Grund. Obwohl von unserer Seite keine Vorgaben im religiösen Sinne
gemacht wurden, hat der Gedanke einer Pilgerfahrt; an Menschen, die vor uns
diesen Weg gegangen sind, alle fasziniert und in Bewegung gehalten.
Mein Fazit: Für solch eine Wanderung
braucht man eine Idee.
2.0. Das
Wandern:
Es war allen klar, daß wir täglich
zwischen 19 und 27 Kilometer (Irrwege nicht eingerechnet) zurücklegen werden,
und es war sehr bedeutsam, was sich während dieser 5-, 6-, und 7-stündigen Zeit
ergab.
2.1. natürlich die Gespräche
untereinander über Erfahrungen und Pläne; bei jedem Teilnehmer habe ich
Fähigkeiten entdeckt, die mir sonst verborgen geblieben wären, d.h. Kenntnisse
über Geschichte, einer, der einen Blick für die Markierung hatte, jemand, der
selbst aus Disteln etwas Eßbares machen konnte; jeder hatte seine besonderen
Stärken.
2.2. Die Markierungen waren teilweise
schwer zu finden, wir mußten aufmerksam sein, uns konzentrieren, ansonsten
hatten wir uns verlaufen. Unsere Hilfsmittel waren die Wanderkarte, Kopien
davon für jeden, und trotzdem mußten wir, in Zweifelsfällen, den
"Wanderführer" hinzuziehen.
2.3. Beeindruckt hat die Landschaft, die
Natur die gelb blühenden Wiesen mit Löwenzahn, seltsame Bäume, Bäche, kaum
Menschen. Nach der Ankunft zu Hause hat mir der alltägliche Lärm Kopfschmerzen
bereitet, in Franken war es ruhiger, hier waren wir auf uns bezogen.
2.4. Das Gehen
"Bei normalem Gehen erwandern wir
die Welt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 4,8 km in der Stunde, und unser
Körper ist für Aktion und Bewegung geschaffen.
Aufgrund der rhythmischen Bewegung der
Muskeln werden seelische und körperliche Angespanntheit gelöst und beseitigt.
Der Körper gelangt wieder in seinen Gleichgewichtszustand. Eine perfekte
Entspannungsmethode, mit der sich Spannung abbauen als auch vermeiden läßt. Im
Freien, auf der Straße, finden Geist und Körper ihr eigenes Zeitgefühl, sie
unterliegen nicht länger dem Rhythmus, den ihnen die Umstände aufzwingen.
Der Wanderer beginnt loszulassen, sich wirklich
zu entkrampfen und mit allem mitzufließen." (Snowdon, München 1996)
3.0 Das
Ungewisse:
Zwar hatte ich bereits von zu Hause
Kontakt aufgenommen und angefragt, ob Übernachtungsmöglichkeit besteht. Was uns
dann erwartete, das blieb ungewiß, kaltes oder warmes Wasser, der Luxus einer
Dusche, ein Herd zum Kochen, Gastfreundschaft und Ängste. Einmal wußten wir
nicht wohin, wir durften ein uraltes Pfarrhaus belegen, ohne Wasser, wir
improvisierten und es war eines unserer schönsten Erlebnisse.
4.0 Das
Kochen
Wir hatten in unserem Begleitfahrzeug
einen 2-flammigen Gaskocher und verpflegten uns selbst. K. war unser
Spitzenkoch, I. hatte absolut keine Lust zum Abspülen, wir haben uns alle
arrangiert und wir lebten einfach.
5.0 Der
Morgen
Auch wenn unsere Glieder noch so sehr
schmerzten, zwischen 7.30Uhr und 8 Uhr sind wir aufgestanden, um 9.00 Uhr,
spätestens 9.30 Uhr waren wir auf dem Weg. Das war so, daran hielt sich jeder,
obwohl der größte Teil der Gruppenmitglieder ohne Arbeit war, zu Hause seine Zeit
einteilen konnte (Strukturierung).
6.0. An
Grenzen stoßen
Die Grenzen waren zumeist körperlicher
Art, Schmerzen in den Beinen, den Füßen, die ein Weitergehen nicht möglich
machten, zwei mußten einen Arzt aufsuchen. Erfahrungen der Grenzen aber auch, daß
es in den kleinen Dörfern keinen Arzt gibt. An Grenzen stoßen, weil der Körper
nicht trainiert ist, der Rucksack drückt, eine mörderische Hitze herrscht, der
Weg endlos erscheint und erfahren, daß ich es in der Gruppe schaffen kann.
7.0 Die
Reflexion
7.1. Von K. kam der Vorschlag, Tagebuch
zu schreiben. Jeder übernimmt einen Tag und schreibt das ihm Bedeutsame,
Wichtige auf. "Muß das sein", waren die ersten Reaktionen, bei der
Heimfahrt im Bus schrieben auch die letzten beiden ihre Erlebnisse nieder. Am
Abend wurden die Berichte vorgelesen und besprochen. Es entstand ein
detailliertes Reisetagebuch, das jeder erhielt.
7.2. Eines Nachmittags kam die Idee einer
Beurteilung, Selbst- und Fremdeinschätzung in den Bereichen Lächeln, Kochen,
Abwaschen, Initiative zeigen, Kulturelles und Hinweise geben, Ansprüche und
Solidarität.
8.0. Die
Konflikte
Die Gruppe hat, obwohl die Teilnehmer
sich größtenteils nicht kannten, von Anfang an gut harmoniert. Es gab nur
wenige Konflikte, sicher hätte sich das bei Fortdauer unserer Wanderung,
schlechtem Wetter etc. verändert.
Im Gasthaus, alle hielten sich an die
Regel, kein Alkohol, bis auf einen, der sich einen Radler bestellte und damit
eine Auseinandersetzung über Abhängigkeit verursachte, intensiv und laut. Damit
hatte ich meine Probleme, in dieser Umgebung damit umzugehen.
9.0. Der
Andere
9.1. Für mich als Mitgruppenleiter wurde
bereits am ersten Tag klar, daß ich ganz zu der Gruppe gehöre und auch
solidarisch mit dieser Gruppe bin; auch nach außen.
9.2. Dazu gehören eigene
Verhaltensweisen, beispielsweise die Ärmel über die tätowierten Arme ziehen,
was die anderen wohl von mir "denken", das Angestarrtwerden in den
Kneipen, sieben Leute, die nur (?) antialkoholische Getränke trinken und das in
Franken, aber auch Ängste von Nachbarn, denen wir nicht geheuer waren; wie ganz
starkes Vertrauen unserer Gastgeber, die uns die Räume, Schlüssel, Lebensmittel
usw. vertrauensvoll überließen.
10.0 Der
Gruppenleiter und die Gruppe:
10.1. Für mich selbst war bedeutsam, das
Einstimmen auf diese Wanderung, nicht aus der Hektik in dieses Unternehmen
hineingehen, sondern mir Zeit nehmen.
Das Gleiche gilt für das Ausklingen, daß
ich, nachdem ich mich eingelassen habe auf das Gegenüber, gefordert und in
Frage gestellt war, meinen eigenen Raum brauche: um Zeit und Ruhe für mich zu
haben.
10.2. Wichtig waren meine Vorüberlegung
zu meinen Zielen - den Zielen meiner Probanden - den übergeordneten Zielen.
10.3 In der Erlebnispädagogik, so meine
Erfahrung, ergibt sich vieles unvorhergesehen aus der Situation; das macht es
aber auch oft schwierig. Man muß aus dem Stand heraus reagieren, es gibt
Gegebenheiten, wo es schwierig ist, beispielsweise einen Konflikt in der Kneipe
auszutragen oder zu lösen. A. Reinders schreibt in "Erlebnis und Pädagogik":
"Sichtbare, manifeste Problemstellung provozieren Planung, Entscheidungen
und Klärungen und können ... meist der Selbststeuerung der Gruppe überlassen
werden. Bei latenten, implizierten Problemlagen, wie z.B. verschwiegenen und
unbewußten Ängsten und Spannungen, liegt es in der Verantwortung des Betreuers
durch gezielte Interventionen darauf zu reagieren, Situationen umzugestalten
oder u.U. neu zu arrangieren. Auch wenn sich Untergruppen oder die Gesamtgruppe
nicht mehr an die vereinbarten Rahmen halten, wenn sich Gruppenmitglieder durch
Risikoverhalten selbst gefährden, wenn Naturzerstörung droht etc., kann der
Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Gruppe eingeschränkt werden.
Grundsätzlich aber findet die Selbststeuerung der Gruppe dort ihre Grenzen, wo
es den Teilnehmern unmöglich ist, alle relevanten Aspekte zu überschauen oder
die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen, die Entscheidungen
treffen zu können."
10.4. Rollendistanz:
Der Gruppenleiter kann Erfahrungsprozesse
jedoch nur professionell und effektiv begleiten, wenn er genügend Distanz zum
gruppendynamischen Geschehen und zu den Aktivitäten behält. Hier liegt meines
Erachtens ein bedeutendes Problem, durch meine Teilnahme bin ich körperlich
sehr stark gefordert, ich bin mitten im Geschehen und muß mir meiner Rolle
bewußt sein!
11.0
Transfer:
"Als Transfer wird das Fortschreiten
des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er neue
Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese
Lernerfahrung generalisiert und auf andere (Alltags-) Situationen
überträgt." S. 77, Reinders
Kritik an erlebnispädagogischen Maßnahmen
richten sich auf das Problem der unangemessenen Berücksichtigung der
Alltagsrealität während der Maßnahme, auf die zeitliche und räumliche
Entfernung von der konflikterzeugenden Lebenswelt der Teilnehmer, die geringe
prägende Kraft aufgrund der kurzen Kursdauer, die fehlende Nachbetreuung und
Hilfestellung nach Beendigung des Kurses. Schließlich sei die Motivation zum
Transfer aufgrund eines entstehenden Freizeitgefühles gefährdet.
Über diese Kritikpunkte machen sich die
Fachleute Gedanken. Das "Out-Ward-Bound-Plusmodell" versucht, einen
Transfer der Kurserfahrung in den Alltag durch kognitive Verarbeitung zu
erreichen, d.h. Aktion und Reflexion! Mit Hilfe meist verbaler Reflexion wird
ein Bezug zwischen Erlebnis und Alltag der jeweiligen Zielgruppe hergestellt.
Problembereiche der Teilnehmer können direkt und im Vergleich von Kurserfahrung
und Lebensrealität angesprochen werden.
Das Problem hier, das eigentlich gewollte
Lernen in der Aktion und Erfahrung verschiebt sich zu einem Lernen in der
Reflexion.
Das metaphorische Modell. Bei diesem
Modell liegt der Akzent wieder auf der pädagogischen begleiteten,
erlebnisreichen Situation/Aktion. Diese wird jedoch nicht nur einfach
angeboten, sondern möglichst ähnlich zur Lebensrealität ausgestaltet.
Praxisbeispiel: Eine 4 Meter hohe
Holzwand muß von der Gesamtgruppe ohne andere Hilfsmittel überwunden werden. Wer
über die Wand geklettert ist, kann nur von oben helfen, darf aber nicht mehr
zur ursprünglichen Seite zurückkehren. Durch die Einführung in die Aufgabe
durch den Betreuer, (...), verwandelt sich die Holzwand, die überwunden werden
muß, in eine Lernerfahrung, bei der Führungsstile getestet, untersucht und
aufgedeckt werden können.
Ein weiteres Modell nach Stephan Bacon.
Bacon ist der Auffassung, daß gelernt wird, indem man Beziehung zwischen
früheren und gegenwärtigen Erfahrungen herstellt, um seinen Realitätssinn zu
bekräftigen oder zu verändern. Er geht davon aus, daß sich ein Teilnehmer
während eines Kurses, im Idealfall in zwei Realitäten gleichzeitig: nämlich in
der aktuellen Kursrealität, zum anderen -psychologisch gesehen- in der
ähnlichen Alltagssituation befindet. Es wird angestrebt eine möglichst große
Strukturgleichheit zwischen Alltag und Kurs herzustellen, so daß der Teilnehmer
unbewußt einen Vergleich zwischen Verhalten im Alltag und im Kurs gelernten
Verhaltensalternativen zieht und sein Verhaltensrepertoire erweitert.
Weitere Transfer-Möglichkeiten sind:
Arbeiten mit Metaphern (Gebrauch von Anekdoten und Erzählungen und Archetypen
[Urform, Urbild, Muster]).
Sigrid
Engelhard, Bewährungshelferin beim LG Kassel, Beratungsstelle Korbach
"Darstellung erlebnispädagogischer Maßnahmen in der Presse
unter Berücksichtigung meiner eigenen Erfahrungen"
1. Bezug des Themas zum
Lehrgang:
- Erlebnispädagogik wird in der
Öffentlichkeit z.Zt. heiß diskutiert
- dieses spiegelt sich auch in den
diesbezüglichen Presseartikeln wieder
2. Exemplarisches
Vorstellen von zwei Artikeln
- "Hautnah Teamwork erlebt"
Lehrer-Seilschaft übte Kooperation
(Bergsträßer-Anzeiger vom 25.07.1997)
- "59.000,00 DM für einen einzigen
Jugendlichen"
Landtagsabgeordneter von Hunnius kritisiert allzu weite
"erlebnispädagogische
Reisen"
(Odenwälder Zeitung vom 21.02.1997)
3. Diskussion der Frage:
Wer und was soll mit
diesen Artikeln angesprochen und erreicht werden?
1. Artikel:
- Darstellen der Kreativität und
Aktivität
- Aufpolieren des Lehrerimages
- von Geld ist keine Rede
2. Artikel:
- Anbiedern an den Leser; nach dem Maul
schreiben
- Sozialneid (siehe Leserbriefe,
Mißgunst, Empörung)
- in Zeiten leerer Kassen wird alles
verstärkt unter finanziellem Gesichtspunkt gesehen
Meine Stellungnahme dazu:
Es gibt Mißbrauch, aber man kann das Kind
nicht mit dem Bade ausschütten.
4. Chancen und
Möglichkeiten von erlebnispädagogischen Maßnahmen:
- Warum leisten sich Firmen
Erlebnispädagogik für Mitarbeiter und Manager
- meine persönliche erlebnispädagogische
Erfahrung und ihre Bedeutung für mich
- erlebnispädagogische Erfahrung in
meiner Arbeit als Bewährungshelferin
zu 1.
In unserem Lehrgang "Erlebnisorientierte
Gruppenarbeit in der Straffälligenhilfe zur Betreuung gewaltbereiter und
rechtsradikaler Jugendlicher" haben wir uns mit einer Form pädagogischer
Arbeit beschäftigt, die z.Zt. in der Kollegenschaft, aber auch in der
Öffentlichkeit, sehr kontrovers diskutiert wird.
Erlebnispädagogik wird mit
Abenteuerurlaub verwechselt, Sozialarbeitern und Erziehern wird unterstellt,
sich die eigenen privaten Hobbys durch Mitnahme von Klienten finanzieren zu
lassen.
Diese Diskussion wird auch von der Presse
aufgegriffen und spiegelt sich in den diesbezüglichen Artikeln wieder.
Bei meiner Durchsicht von Zeitungen und
Zeitschriften war auffällig, daß der überwiegende Teil in einer negativen Weise
erlebnispädagogische Maßnahmen darstellt; positive Berichte waren die Ausnahme.
zu 2.
In dem ersten Artikel handelt es sich um
einen Bericht aus dem Bergsträßer Anzeiger vom 25.07.1997 mit dem Titel:
"Hautnah Teamwork
erlebt - Lehrer-Seilschaft übte Kooperation - Wichtige Erfahrung".
In diesem Artikel wird von einer
erlebnisorientierten Maßnahme berichtet, die sieben Lehrer zweier Schulen unter
Anleitung von zwei Sozialpädagogen durchgeführt haben.
Davon ausgehend, daß Teamfähigkeit eine
gefragte Kompetenz ist und als Schlüsselqualifikation ganz oben auf der Liste
der Lernziele steht, war das gemeinsame Erfahren von "Teamwork" das
Ziel dieser Maßnahme.
Einen Nachmittag lang wurden den
Pädagogen auf einem Gelände, auf dem sich drei 15 m hohe Türme, Strickleitern,
Holzstämme, Hängeleitern, Netze und Seile befanden, immer wieder neue Aufgaben
gestellt, die deren Kooperationsfähigkeit erforderte:
"Die Gruppe mußte sich von einem
"sinkenden Schiff" retten oder auch aneinander gebundene Hindernisse
überklettern, sich in gewagte Höhen emporarbeiten oder sich auch einfach rückwärts
mit verbundenen Augen aus einiger Höhe in die Arme der Gruppenmitglieder fallen
lassen. Bei all diesen Erfahrungen ging es nicht um stundenlanges Analysieren,
sondern um direkte Erlebnisse, bei denen den Teilnehmern der Bezug zu ihrem
beruflichen Alltag wie Schuppen von den Augen fiel."
Umgesetzt wurden diese eigenen
Erfahrungen dann in einer Projektwoche mit Schülern zum Thema
"Abenteuerspiele und Klettern", die Vertrauensübungen,
Kooperationsspiele und Grenzsituationen beinhaltete.
In dem zweiten Artikel handelt es sich um
einen Ausschnitt aus der Odenwälder Zeitung vom 21.02.1997 mit dem Titel:
"59.000,00 DM für
einen einzigen Jugendlichen"
Landtagsabgeordneter von Hunnius
kritisiert allzu weite erlebnispädagogische Reisen.
In diesem Artikel wird eine politische
Diskussion um eine vom Kreis Bergstraße durchgeführte erlebnispädagogische
Reise nach Australien, zur Resozialisierung eines straffällig gewordenen
Jugendlichen, diskutiert.
Die Kosten für diese Maßnahme beliefen sich
auf 58.600,00 DM. Die Reise dauerte ein halbes Jahr. Der Kreis Bergstraße
machte mit dieser Maßnahme von einem Angebot des Christopherus Jugendwerks aus
Freiburg Gebrauch. Diese Einrichtung stellte auch den mitreisenden Pädagogen.
In diesem Artikel stehen sich im
wesentlichen zwei Positionen gegenüber:
Zum einen wird darauf hingewiesen, daß es
sich hier um eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung handelt, die
nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz abgedeckt ist; zum anderen fragt die
Landes-FDP: "..., ob der beabsichtigte pädagogische Zweck nicht vielleicht
auch im Rahmen einer Reise in eine weniger entfernte Weltgegend hätte erreicht
werden können. Es dränge sich der Verdacht auf, daß sich in diesem Fall die
pädagogischen Erwägungen mit den touristischen Interessen des Betreuers gepaart
hätten. Dem Steuerzahler sei es, besonders in der aktuellen Situation, nicht zu
vermitteln, wenn in dieser leichtfertigen Weise mit öffentlichen Mitteln
umgegangen wird."
Der Grundtenor dieses Artikel lautet, daß
diese Maßnahme für einen einzigen Jugendlichen sehr fragwürdig ist, weil sie zu
teuer war.
zu 3.
Ganz eindeutig muß festgestellt werden,
daß der erste Artikel sich ausschließlich positiv mit einer
erlebnispädagogischen Maßnahme auseinandersetzt.
Die Maßnahme wird inhaltlich vorgestellt.
Bei der Vorstellung findet eine
Gliederung nach Grundvoraussetzung, Erwartung, Inhalt und Ziel der Maßnahme und
die Übertragung der dort gesammelten Erfahrung in die alltägliche Arbeit statt.
Die Maßnahme wird nicht in Zweifel
gezogen. Es ist im Gegenteil so, daß, vervollständigt durch ein Foto, bei mir
der Eindruck entstanden ist, daß das Lehrerimage durch die mit dieser Maßnahme
gezeigte Kreativität und Aktivität, aufpoliert wurde.
Die Kosten für diese Maßnahme wurden nicht
erwähnt.
In dem zweiten Artikel wird ein Anbiedern
an den Leser praktiziert. Allein schon die Überschrift ist dazu geeignet,
Sozialneid hervorzurufen.
Dieser Sozialneid findet sich auch in den
mir vorliegenden Leserbriefen zu dieser Jugendhilfemaßnahme wieder.
Artikel zu dieser Maßnahme sind nicht nur
in der regionalen Zeitung erschienen, sondern auch in den überregionalen
Zeitungen.
So hat ein Bericht in der FAZ in drei
Leserbriefen am 27.07.1997 sein Echo gefunden. In einem Leserbrief wird die
erlebnispädagogische Maßnahme als Belohnung für einen schwerstkriminellen und
schwersterziehbaren Jugendlichen nach Hundert Straftaten bezeichnet und
gemutmaßt, daß dies ein Anreiz für Jugendliche Rechtsbrecher sei.
In einem anderen Leserbrief fragt ein
Vater von vier Kindern: "Welche Straftaten soll ich meinen Kindern
empfehlen, die bei dem begrenzten Einkommen ihres Vaters auf anderem Weg kaum
nach Neuseeland oder Australien kommen werden?
Ist die Reise von der Zahl der Straftaten
abhängig? Wie sieht die Mengenstaffel aus: beispielsweise 100 x Ladendiebstahl
= Mittelmeer oder 5 x schwerer Raub = Übersee? Ich würde gerne gemeinsam mit
meiner Familie verreisen. Ist es dafür erforderlich, auch gemeinsam auf Raubzug
zu gehen, oder kann ein Teil meiner Delikte zu Gunsten meiner Frau und Jüngsten
angerechnet werden, damit diese während der Einbrüche des Vaters zu Hause
bleiben können? Kann man mir einen Katalog mit den zur Verfügung stehenden
Reiseziele recht bald schicken, damit ich die entsprechenden Schritte rechtzeitig
für die Saison 1998 einleiten kann?"
Durch diesen Leserbrief wird deutlich,
daß mit dem Artikel ein sehr empfindlicher Nerv der Leser getroffen wurde.
Im Vergleich zu dem ersten Artikel wurde
hier in keiner Weise der Sinn und die Notwendigkeit dieser Maßnahme diskutiert
oder inhaltlich dargestellt, sondern sie ausschließlich unter einem
Kostengesichtspunkt betrachtet.
Ich denke, daß diese verstärkte
Berücksichtigung des finanziellen Gesichtspunktes eine typische Darstellung in
Zeiten leerer Kassen ist.
Ich bin der Meinung, daß sicherlich die
Kosten ein Kriterium für die Durchführung einer erlebnispädagogischen Maßnahme
sind, und daß es diesbezüglich offenbar zu Mißbrauch kommt. Ich halte es jedoch
für sehr bedauerlich, wenn damit grundsätzlich alle Maßnahmen in Frage gestellt
werden.
zu 4.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch
die Frage aufwerfen, warum leisten sich Firmen erlebnispädagogische Maßnahmen
für Mitarbeiter bis hoch ins Management? Welche Interessen stecken dahinter?
Parallel zu der kritischen
Auseinandersetzung mit erlebnispädagogischen Maßnahmen für Jugendhilfe und
Straffällige ist zu beobachten, daß immer mehr Firmen für ihre Mitarbeiter die
Erlebnispädagogik entdeckt haben. In diese Form von Fortbildung wird viel Zeit
und Geld investiert.
Ich gehe davon aus, daß in modernen
Unternehmen Teamarbeit eine immer zentralere Rolle spielt; wie auch in dem
Artikel bzgl. der erlebnispädagogischen Maßnahme der Lehrer beschrieben, ist
Teamfähigkeit eine immer gefragtere Kompetenz.
Im Vergleich zur Einzelarbeit bietet die
Teamarbeit unübersehbare Vorteile für die Firmen. Der Informationsfluß zwischen
einzelnen Mitarbeitern wird verbessert, das Team wirkt als Korrektiv und
Ansporn für den Einzelnen, Teamarbeit fördert das Erkennen und Erreichen von gemeinsamen
Zielen, Mitarbeiter setzen sich verstärkt für die Unternehmensziele ein und
zeigen eine größere Verantwortungsbereitschaft, es findet eine verstärkte
Identifizierung mit dem Unternehmen statt.
Diese Teamarbeit muß jedoch gelernt
werden.
Eine Möglichkeit hierzu sehen viele
Betriebe in einem Outdoortraining. Die Teilnehmer einer solchen Maßnahme werden
mit ihrer gesamten Persönlichkeit gefordert und sind gezwungen die
eingefahrenen, häufig über viele Jahre erworbenen sozialen Verhaltensweisen
innerhalb eines Betriebes aufzugeben.
In den Outdooraktivitäten ist es
erforderlich, daß gemeinsam an einem "Strang" gezogen werden muß, um
das Ziel zu erreichen. Wichtig ist jedoch auch hier, daß die praktischen
Erfahrungen reflektiert und auf die Alltagssituation übertragen werden können.
Ich selbst habe auch eigene persönliche
erlebnispädagogische Erfahrungen gemacht, die für mich noch heute von Bedeutung
sind.
Das Besondere an diesen Erfahrungen war
das Erleben von verläßlichen zwischenmenschlichen Beziehungen, die Erweiterung
meines eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsradius und die Relativierung und
Reflektierung des von mir bisher Erlebten.
Ich habe erlebnispädagogische Maßnahmen
als eine Bereicherung und Prägung erlebt, die mich bis zum heutigen Tage
beeinflussen und die ich versuche weiterzugeben.
Ich muß zugeben, daß ich mich im Rahmen
der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe nur sehr zögerlich an
erlebnispädagogische Arbeiten herangewagt habe.
Meine Befürchtung war, daß ich durch das
gewünschte Ergebnis der größeren Offenheit der Probanden Informationen erhalten
könnte oder in Situationen komme, die mich auf Grund meiner Beitragspflicht und
des nicht vorhandenen Zeugnisverweigerungsrechtes in einen Gewissenskonflikt
bringen.
Ich wollte nicht gezwungen werden, das
mir entgegenbrachte Vertrauen der Probanden zu mißbrauchen.
Auch mußte ich mit solchen Aktivitäten
den Rahmen der verbalen Kommunikation, der mit vertraut ist, in dem ich mich
meinen Teilnehmern überlegen fühlte, verlassen und auf eine für mich fremde und
neue Umgangsform einlassen.
Ich hatte die Befürchtung, daß ich dann
einen Teil meiner Leiterautorität verlieren, eventuell an einzelne
Gruppenmitglieder abgeben müßte.
Nachdem ich mich aber mit diesen Ursachen
für meine Befürchtungen auseinandergesetzt habe, bin ich das Wagnis
eingegangen. Aus den positiven Erfahrungen die ich dann machte, zog ich die
Konsequenz, daß ich in meiner zukünftigen Gruppenarbeit verstärkt
erlebnispädagogisch arbeiten werde. Ich habe erfahren, daß die Probanden Möglichkeiten
besitzen, die sie mir bisher nicht offenbaren konnten.
Ich habe Ressourcen bei ihnen entdeckt,
die ich nie vermutet hätte:
- Probanden,
die ich bisher als verschlossen und abweisend in den Gesprächen erlebt habe,
blühten bei der Bearbeitung des Gartens eines Probanden förmlich auf und
zeigten Organisationstalent und eine Fähigkeit zu strukturieren, die mich ins
Staunen versetzte.
- Ein
Proband, der bisher keine Bereitschaft zeigte, sich mit seiner Sexualstraftat
auseinanderzusetzen, beginnt nach einer öffentlichen Diskussion mit dem
hessischen Justizminister über die Situation der Opfer von Straftaten, über die
Ängste der von ihm vergewaltigten Frau nachzudenken.
- Bei
einer eintägigen Wanderung achten alle Teilnehmer darauf, daß keiner verlorengeht,
sondern alle zusammenbleiben.
Die Wirksamkeit solcher
erlebnispädagogischer Maßnahmen, sind jedoch entscheidend davon abhängig,
inwieweit die Umsetzung des Erlebten in die alltägliche Situation gelingt. Dazu
ist es zwingend erforderlich, daß das Erlebte in Gesprächen reflektiert wird.
Der grundsätzliche Unterschied zwischen
Erlebnispädagogik und Abenteuerurlaub liegt für mich in dem Analysieren der
Ausgangssituation, der daran orientierten inhaltlichen Gestaltung der Maßnahme,
der sozialpädagogischen Begleitung, dem Erfahren und realistischen einschätzen
der eigenen Person, der Möglichkeit, über sich und die eigene Lebenssituation
zu reflektieren und die gemachte Erfahrung in Alltagssituationen umzusetzen.
Dieses ist eher möglich, wenn man den
gewohnten Rahmen verläßt, etwas Neues wagt, eventuell in fremde Länder geht.
Aber auch innerhalb der BRD gibt es Möglichkeiten (z.B. Wanderung auf dem
Jakobspfad), die angestrebten Inhalte und Ziele der Erlebnispädagogik erlebbar
zu machen.