"Erlebnisorientierte Gruppenarbeit

in der Bewährungshilfe"

 

- Beiträge der Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung -

Ahlberg, September 1995 - Oktober 1997

 

Vorwort

Die Autoren dieses Readers haben von September 1995 bis Oktober 1997 an dem Lehrgang "erlebnisorientierte Gruppenarbeit in der Straffälligenhilfe zur Betreuung gewaltbereiter und rechtsradikaler Jugendlicher " teilgenommen.

Veranstalter war das Forum Ahlberg im Auftrag des HMdJuE. Die Lehrgangsteilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich sowohl mit praktischen als auch theoretischen Aspekten von Gruppenarbeit beschäftigt.

Die in diesem Reader zusammengefassten Beiträge stellen eine Auswahl theoretischer Auseinandersetzungen mit dieser Thematik dar.

Gliederung

Walter Untermann: Geschichte und spezielle Aspekte der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe

Claudia Langer: Einzelhilfe, Gruppenarbeit - Methoden der Bewährungshilfe im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Mitteilungspflicht

Holger Scharf: Theoretische Aspekte zu den Begriffen: Gewalt, Jugend und Subkultur

Birgit Schrankel: Zum Beginn von Gruppensitzungen und Einführung in die Thematik bei fortlaufenden Veranstaltungen

Holger Rebscher: Finden von Zielen für persönliche Veränderungenmit Probandengruppen

Markus Weinandt: Acht Thesen für die erlebnispädagogische Arbeit mit Probanden

Richard Lulay: Erlebnispädagogik in der Praxis:5 Tage auf dem mittelfränkischen Camino

Sigrid Engelhard: Darstellung erlebnispädagogischer Maßnahmen in der Presse unter Berücksichtigung meiner eigenen Erfahrungen

 

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Walter Untermann, Bewährungshelfer beim LG Frankfurt a. M.

Geschichte und spezielle Aspekte der Gruppenarbeit in der
Bewährungshilfe

Zusammenstellung von Berichten aus den Heften d. Bewährungshilfe ( Deutsche BwH e.V. Bonn)

 

Thema aus Heft 3 von 1972

Gruppendynamik in der Bewährungshilfe von Dr. Edith Zundel Bonn

Thema aus Heft 3 von 1972

Gruppenbildung und Selbsterfahrung von Dr. Ingrid Lukatis Nürnberg

Thema aus Heft 1 von 1974

Bundestagung der Bewährungshilfe 1973

Arbeitskreis IV, ( Dr. Ohlmeier, Ulm)

Erfahrungen mit therapeutischer Gruppenarbeit

Thema aus Heft 1 von 1980

Bundestagung der Bewährungshilfe 1979

Arbeitskreis V (Goldbrunner / Kastenhuber / Lippenmeier / Hinz)

Gruppenarbeit mit Probanden als Mittel sozialen Lernens

Soziale Gruppenarbeit in der BewährungshiIfe

- Aufbau einer Regionalgruppe -

N. Lippenmeier, DBH Bonn ,1991

zu Thema 1, Projekt aus Heft 3 von 1977

Projekt der Gruppenarbeit mit Probanden der Bewährungshilfe

Arbeitskreis Gruppenarbeit mit Delinquenten, Berlin

(u.a. mit BWH und Forensische Psychiatrie u. Lippenmeier, Sagebiel)

Thema 2, aus Heft 2 von 1983

Problemorientierte Gruppenarbeit mit Probanden der Bewährungshilfe.

--Der Beitrag des Berliner Arbeitskreises zur überregionalen Institutionalisierung--

Lippenmeier / Sagebiel

(persönliche Kürzung Dünkel/Spieß - Gruppenarbeit in der BWH der BRD- Freiburg 82)

Thema 3, aus Heft 1 von 1984

(Einzelbeitrag)

Berufsbegleitende Fortbildung in problemorientierter Gruppenarbeit -- eine Chance für Bewährungshelfer und Probanden

Auswertung der persönlichen und berufspraktischen Effizienz des ersten Lehrgangs in personenzentrierter, problemorientierter Gruppenarbeit für hauptamtliche Bewährungshelfer

Günter Kastenhuber, BWH Passau

Thema 4, aus Heft 4/82 von 1982

Bericht aus der Praxis

Gruppenarbeit aus Co-Leiter-Sicht

v. Kurt Schäfer, Voerde

Thema 5, aus Heft 2 von 1983

Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit wiederholt auffälligen Verkehrsstraftätern in der Bewährungshilfe als Alternative zum Strafvollzug

-Erster Erfahrungsbericht - Arnold Hummel 1 Erika Ploch - BWH Berlin

Thema 6, aus Heft 3 von 1985

Gruppenarbeit mit arbeitslosen Probanden in der Bewährungshilfe Hannover

Johanna v. Renner-Burka, Dipl.Soz.Päd. Hannover

 

Thema 7, aus Heft 2 von 1985

Erfahrungsbericht über ein Freizeitseminar mit arbeitslosen Probanden von Nikolaus Steyer, BwHer in Lünen

Thema 8 aus Heft 1 von 1990

Die Gruppensprechstunde

Genese einer praxisorientierten Gruppenarbeit

J. Schendler / S. Schwarz/ V. Sprenz ( BWH - Hannover)

Thema 9 aus Heft 1 von 1994

Muß die Bewährungshilfe soziale Trainingskurse durchführen?

Dr. Andreas Hohendorf, Richter am AG Höxter

Thema aus Heft 3 von 1983

Einige Überlegungen zur (verhaltensanalytischen) Gesprächsführung in der Bewährungshilfe

Dr. Siegfried Grosse, Linden

Thema aus Heft 4 von 1987

v. Sven Nachmann zum Buch

Fiedler u.a. Psycho-Verlag München

Gruppenarbeit mit Angehörigen schizophrener Patienten

Thema aus Heft 4 von 1983

Familientherapie in der Bewährungshilfe in interdisziplinärer Co. Therapie

Prof. Dr. Hans Goldbrunner, Uni. Essen

Briefwechsel

Thema aus Heft 4 von 1992

Innovative Arbeit in der Bewährungshilfe

Konzeptionsentwicklung am Beispiel des Projektes -Alkoholmißbrauch und Straffälligkeit-

von Hilde Höll, Berlin Stuttgart

Thema aus Heft 2 von 1993

Einzelarbeit contra Gruppenarbeit

Reinhild PohI-Burbliess

Gedanken beim Lesen des Artikels Frau Höll über Innovative Arbeit in der Bew.Hi. aus 4/92

 

 

Einleitung

In der Bewährungshilfe gibt es schon lange Gespräche über Gruppen, Gruppenverhalten und Gruppenarbeit. Es ist auch schon viel über diese Themen in der Zeitschrift der Deutschen Bewährungshilfe Bonn e.V. geschrieben worden.

Es wird also seit mehr als 30 Jahren über Gruppen in der Bewährungshilfe geredet und über Erfahrungen und Ideen und über neue Modelle mit unterschiedlichen Schwerpunkten der Gruppenarbeit berichtet.

Auch wird in dieser Zeitschrift, also zur Information aller Bewährungshelfer/innen, ein Dialog zwischen Kollegen/innen geführt, die das Für und Wider einer Veränderung in ihrer Arbeitssituation herausstellen.

Ich habe eine Zusammenstellung von Berichten aus den Heften d. Bewährungshilfe (Deutsche BwH e.V. Bonn) gemacht. Diese Berichte von Kollegen und Kolleginnen, die in der Zeit von 1974-1994 veröffentlicht wurden, geben meiner Meinung nach die beste Information über Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe wieder.

Bevor ich mit der praktischen Arbeit mit Gruppen begann, konnte ich mich mit Hilfe der Beiträge zum Thema Gruppenarbeit in den Fachzeitschriften vertraut machen.

Da mir die praktische Arbeit zu diesem Zeitpunkt besonders wichtig war, verzichtete ich an dieser Stelle bewußt auf die Vertiefung der theoretischen Abhandlungen.

Die Diskussion über Gruppen ist also bei uns schon lange im Gange, obwohl sie in den letzten Jahren von Themen, wie ,,Täter - Opfer - Ausgleich", ,,Schuldensanierung", ,,Datenschutz", ,,Einsatz von Kleinrechnern" und vielem mehr, in den Hintergrund gedrängt wurde.

Durch das Vorstellen von Erfahrungsberichten aus der Kollegenschaft möchte ich hier einen Einblick in Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe geben.

Auch nach vielen Jahren haben diese Berichte noch immer eine große Aktualität, auf die ich bei meiner praktischen Arbeit mit Gruppen aufbauen konnte.

 

2.)     Thema aus Heft 1 von 1974, DBH - Bonn

         Bundestagung der BewH 1973, Ak IV (Dr. Ohlmeier, Ulm),
Erfahrungen mit therapeutischer Gruppenarbeit

Bereits auf der Bundestagung der Bewährungshelfer/innen im Jahre 1973 befaßte sich ein Arbeitskreis mit dem Thema Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe. In dem von Dr. med. D. Ohlmeier zusammengefaßten Artikel wird herausgestellt:

1.        Gesellschaftliche und Guppenaspekte der Delinquenz

2.        Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sind erforderlich um in diesem
Spannungsfeld arbeiten zu können

3.        Ziel der Gruppenarbeit

4.        Neue Möglichkeiten der Arbeit der Bewährungshilfe und Strafvollzug.

Die Arbeitsgruppe hat unter 1. eine Definition der Delinquenz erarbeitet. Hier wird sie als ,,Ausdruck einer Pathologie der Gruppe im engeren Sinne (Familie) und der Gruppe im weiteren Sinne (allgemeine Gesellschaft)" verstanden.

Ferner wird erwähnt Zitat : ,,BWH sind Teil der Gesellschafts- und Gruppenstruktur, die zur Motivation des Täters, quasi als ihr ausführendes Organ, beigetragen haben, andererseits ihm zu seiner Sozialisation bzw. Resozialisierung verhelfen."

Daraus leiten die Arbeitsgruppen eine mehrdimensionale Funktion des Sozialarbeiters in der Gesellschaft ab.

Ferner wurde erarbeitet, daß fachspezifisches Wissen bei den Mitarbeitern unbedingt erforderlich ist, um Gruppenbezüge des Klientels und der gemeinsamen Gruppensituation wahrnehmen zu können.

Unter 3. hebt der Autor das Erkennen der Gruppenabhängigkeit des Straftäters heraus (schichtenspezifische Faktoren der Delinquenz). Ein gruppenorientiertes Arbeiten mit Inanspruchnahme von weiteren Beteiligten, wie freiwilligen Helfern, wird vorgeschlagen.

Im letzten Teil dieses Textes wird der Verlauf der Gruppe in diesem Arbeitskreis der Tagung beschrieben.

Es nahmen 60 Fachkräfte daran teil. Hier wurde in einer Großgruppe gearbeitet, was auch zur Folge hatte, daß die Teilnehmer aktiv in Gruppenabläufen mit ihren Ängsten und mit ihren Forderungen nach Erfolg konfrontiert wurden.

Trotz der starken Gruppendynamik kamen sie zur abschließenden Forderung, in der BWH eine Intensivierung der gruppentherapeutischen Erfahrungen anzustreben.

Von den 60 Teilnehmer gaben hier 38 an, mit und in Gruppen zu arbeiten, 12 hatten bereits eine spezielle Ausbildung für Gruppenarbeit erworben.

3.)Thema aus Heft 1 von 1980, DBH - Bonn
Bundestagung der Bewährungshilfe 1979 Arbeitskreis V, (Goldbrunner / Kastenhuber / Lippenmeier / Hinz)

Gruppenarbeit mit Probanden als Mittel sozialen Lernens

In diesem Bericht der Bundestagung von 1979 hatte sich ein Arbeitskreis mit dem Thema Gruppenarbeit beschäftigt.

Die Verfasser des Artikels ( Goldbrunner, Kastenhuber, Lippenmeier und Hinz) verweisen darauf, daß seit 20 Jahren über Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe gesprochen wird, dies aber im Gegensatz zur Praxis steht, da hier kaum davon Gebrauch gemacht wird.

Deshalb wurden strukturierende Angebote vom Leitungsteam in dem Arbeitskreis gemacht, wie Organisation und methodische Durchführung von Gruppenarbeit, systematische Reflexion, sowie die Bedingung der Etablierung in der Institution.

An diesem Arbeitskreis nahmen 45 Fachkräfte teil, 38 davon waren Bewährungshelfer/innen, bereits 14 davon gaben an, mit Gruppen in der Bewährungshilfe zu arbeiten.

Die Arbeitsschwerpunkte des AK waren:

,,Motivation der Probanden zur Gruppenarbeit" Methoden und Inhalte in der Gruppenarbeit.

In dem Bericht wurde festgestellt, daß das Motivieren von Probanden die wichtigste Frage ist und dies oft im Verhältnis zur eigenen Motivation des Mitarbeiters steht.

Den Probanden mit richterlicher Auflage zur Teilnahme in Gruppen zu bringen, wird als weniger erfolgversprechend angesehen.

Durch die Attraktivität der Inhalte und die Vorgehensweise des Mitarbeiters soll das Klientel geworben werden. Auch soll auf positive Erfahrung des Klientels mit Gruppenarbeit, zum Beispiel im Vollzug, zurückgegriffen werden.

Angeregt wurde ferner, unter Einbeziehung des Klientels, über Möglichkeiten der Ausgestaltung der Bewährungszeit nachzudenken. Gemeinschaftssprechstunden als Vorbereitung seien ratsam.

Bei der Diskussion über Methoden, zeigte sich ein Bedürfnis der Teilnehmer an der Strukturierung von Gruppenarbeit. Es wurden mehr Fachwissen und ein besserer

Erfahrungsaustausch gefordert. Gruppenarbeit sollte keine zufallsgesteuerte

Intervention sein.

Als Muß in der methodischen Gruppenarbeit wurden der Co-Leiter, Supervision,

Sitzungsprotokolle und Auswertungsverfahren angeführt.

Da unterschiedliche Meinungen darüber vorlagen, ob Freizeitaktivtät oder problemorientiertes Arbeiten in den Vordergrund zu stellen wären, kam es in der inhaltlichen Ausgestaltung zu keiner einheitlichen Aussage in diesem Arbeitskreis.

Es wird in dem Beitrag auf Veränderungen in der Gruppenthematik hingewiesen, die oft von gemeinsamen Aktivitäten über praktische Hilfen und Informationen zu einem starken ,,Wir"-Gefühl in der problemorientierten Gruppenarbeit führt.

Die Autoren des Beitrags erwähnen, daß durch das Diskussionsverhalten der Teilnehmer/innen in der Großgruppe ein Wandel in ihrer Einstellung zur Gruppenarbeit gezeigt wurde. Sie vermuten weiterhin eine stark zunehmende Zahl von Bewährungshelfer/innen, die Gruppenarbeit mehr in ihre alltägliche Arbeit mit Klienten einsetzen werden.

4.) Thema, aus Heft 3 von 1977, DBH - Bonn

Projekt der Gruppenarbeit mit Probanden der Bewährungshilfe-

Arbeitskreis Gruppenarbeit mit Delinquenten, Berlin (u.a. mit BWH und Forensische Psychiatrie)

Die Fachzeitung Bewährungshilfe veröffentlichte im Jahre 1977 einen Bericht aus der Praxis vom "Arbeitskreis Gruppenarbeit mit Delinquenten, Berlin". Hier wurde der Versuch von Bewährungshelfer/innen und Mitarbeiter/innen des Institutes für Forensische Psychiatrie in Berlin im Jahre 1974 mit Probanden dargestellt.

Zielsetzung war, ein gemeinsames methodisches Konzept für die Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe zu erarbeiten.

Die Gruppe der Probanden in Berlin waren jugendliche Straftäter. Diese hatten mehrheitlich ihre Straftaten in Gruppen begangen. In der Probandengruppe sollten jetzt ein leichteres Lernen und Aufbau von sozialen Bezügen erfolgen, sowie das Lösen von alten Normen, die bei ihnen ja zur Straffälligkeit führten.

Die Bezugspersonen der Teilnehmer wurden in die Arbeit der Vorbereitung zur Gruppenarbeit mit einbezogen.

Alkohol- und drogenabhängige Jugendliche sollten nicht in diese Gruppe aufgenommen werden. Auch sollte bei den Teilnehmern mindestens noch eine Unterstellung von 1/2 Jahr unter Bewährungsaufsicht bestehen.

Die Gruppe sollte 10 Teilnehmer/innen umfassen, dazu der/die Bewährungshelfer/in und der/die Mitarbeiter/in des Institutes.

Für den äußeren Rahmen war ein wöchentliches Treffen über 2 Stunden Dauer vorgesehen, das Verweilen in der Gruppe sollte bei den Teilnehmern mit der laufenden Bewährungszeit identisch sein.

Die Treffen sollten an neutralen Orten stattfinden, wie z.B. in Freizeiteinrichtungen in den jeweiligen Stadtteilen der Großstadt, um die Motivation und ein regelmäßiges Kommen zu erhöhen.

Für das methodische Vorgehen sollten die Gruppenzusammenkünfte von den Mitarbeitern/innen stärker strukturiert werden, z.B. durch vorbereitete Lernschritte und an der Gruppe orientierte Themen. Aktuelle Themen Einzelner sollten zum Gruppenthema werden.

Durch die Machtstellung der Bewährungshelfer/innen bestand in der Gruppe eine realitätsbedingte Distanz. Mit Absicht legten die Betreuer großen Wert auf Gruppenverbindlichkeiten.

Die entwickelten Zielvorstellungen in der Gruppenarbeit wurden mit der vorher abgeschlossenen langfristigen Planung verglichen und abgestimmt.

Wegen der wissenschaftlichen Auswertung durch das Institut wurde darauf geachtet, daß Vergleichsmöglichkeiten bei den verschiedenen Gruppen untereinander bestanden. Es wurden standardisierte Protokolle erstellt, die aber auch Arbeitsgrundlage für Supervision und Gruppenreflexion waren.

Die von den Autoren dargestellten Erfahrungen in diesem Bericht bezogen sich auf Gruppenarbeiten von 1974 und 1975.

Hier fanden in Berlin 7 Gruppen mit durchschnittlich 4 - 6 Klienten bei 2 - 3 Mitarbeitern statt.

In der Anlaufphase der Gruppe gab es die stärkste Fluktuation, in der späteren Arbeit zeigte sich dann die mangelnde Erfahrung der Mitarbeiter/innen mit Gruppenarbeit. Deshalb wurde der Wunsch nach speziellen Fortbildungsprogrammen geäußert.

Die Fluktuation wurde als besonders wichtig herausgestellt und mit der Sympathie der Betreuer in Verbindung gesehen. Der Gruppenverlauf wurde sehr stark durch die Auswahl der Klienten und die unterschiedliche Betreuung durch die Mitarbeiter beeinflußt.

Dieser Arbeitskreis sieht in der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe eine effektivere Betreuung von Klienten als bei der Einzelbetreuung. Eine Teilspezialisierung der/die Betreuer/in wird empfohlen.

 

5.) Thema, aus Heft 2 von 1983, DBH Bonn

Problemorientierte Gruppenarbeit mit Probanden der Bewährungshilfe. - Der Beitrag des Berliner Arbeitskreises zur überregionalen Institutionalisierung - Lippenmeier / Sagebiel

(persönliche Kürzung Dünkel/Spieß - Gruppenarbeit in der BWH der BRD-Freiburg ‘82)

Von dem Autorenpaar wird ein Rückblick auf die Veränderung bzw. Nichtveränderung der Arbeit innerhalb der Bewährungshilfe dargelegt.

Bereits im Vorspann weisen sie darauf hin, daß seit 1953 Bewährungshilfe existiert, Gruppenarbeit aber nur sporadisch angewandt wird.

Sie bemängeln die qualitative Ausgestaltung der Bewährungshilfe, die nicht mit der Erweiterung ihrer Aufgabenfelder mitgehalten hat.

Sie führen an:
,,Bewährungshilfe erfordert eine differenzierte Diagnostik und Betreuung, deren Weiterentwicklung vernachlässigt worden ist. Einzelhilfe .... ist die traditionelle Betreuungsform, die im Hinblick auf Angemessenheit und Wirksamkeit nicht mehr hinterfragt wird und zur Ideologie erstarrt scheint.

Die Verwaltung in der BWH zu perfektionieren, entspricht einer allgemeinen organisationsspezifischen Gesetzmäßigkeit von Institutionen. Bewährungshilfe entwickelt mit der Dauer ihres Fortbestandes die Neigung, Bestehendes zu bewahren und Veränderungen ... abzuwehren."

So ist es auch mit der Annahme von Gruppenarbeit. Außer wenigen Versuchen von einzelnen Bewährungshelfer/innen, die neue Ideen entwickelten, wird Einzelfallhilfe praktiziert.

Daß dies nicht in der Bewährungshilfe so bleiben soll, wird durch den Versuch in Berlin (siehe Bericht oben) und durch andere Schriften beschrieben.

Aus den in Berlin gesammelten Erkenntnissen wird herausgehoben, daß problemorientierte Gruppenarbeit ein ideales Lernfeld in der Bewährungshilfe ist. Sie ist auch ein adäquates Mittel, wenn eine Strafaussetzung bei dem Probanden nicht mehr in Betracht kommt. Die richterliche Weisung an der Gruppenarbeit teilzunehmen, kann dem Klienten die Strafverbüßung ersparen.

Die vorgebrachten Bedenken von Bewährungshelfer/innen gegen die Gruppenarbeit sind die gleichen, die sie auch gegen sozialpädagogisch-therapeutische Sozialarbeit vorbringen.

Die Autoren stellen nochmals das Projekt Berlin vor. Sie heben heraus, daß die Erfahrung gezeigt hat, daß der Verurteilte sich früher oder später in den Prozeß der Gruppe mit einbringen muß und das Gespräch so viel intensiver wird als beim herkömmlichen Einzelgespräch. Dies ist als Vorteil der Gruppenarbeit nicht zu übersehen.

Auch hat sich bei diesem Projekt die Zusammenarbeit von Praktikern (Bewährungshilfe) und Theoretikern (Institut) als vorteilhaft herausgestellt.

Bewährungshilfe hat zu keiner Verringerung von Inhaftierten geführt. Um dies zu erreichen sollten mehr Angebote von ihr erfolgen in Formen von ,,Familientherapie", ,,Gemeinwesenarbeit" und von ,,Selbsthilfegruppen" und durch stärkere präventive Arbeit.

Die wichtigen Phasen des Versuchs der Gruppenarbeit in Berlin, die über 4 Jahre lief, waren:

1.         Findungsphase

2.         Startphase

3.         Konzeptphase

4.         Konsolidierungsphase

5.         Neu-Strukturierung

6.         überregionales Engagement

Rückblickend wird in dem Artikel von 1977 über frühere Gruppenarbeit in der BWH mitgeteilt, daß diese vorwiegend freizeitorientiert war, da die Mitarbeiter/innen nicht über das entsprechende Fachwissen am Anfang ihrer Gruppenarbeit verfügten. Aus diesen Gruppen hatte sich dann gelegentlich problemorientierte Gruppenarbeit entwickelt.

In dem Bericht werden nochmals die Vor- und Nachteile in der praktischen Arbeit mit Probanden in der BWH aufgeführt. Es gibt Fürsprecher, die das Vorgehen von freizeitorientiertem, an den Wünschen der Klienten angelegtem Arbeiten herausheben. Das themenzentrierte Arbeiten in der Gruppenarbeit hat für sie die Gefahr der zu starken Strukturierung durch die Mitarbeiter/innen.

Die Unsicherheit der BWHer/innen bei der problemorientierten Gruppenarbeit sowie bei der Aktivierung der Gruppenmitglieder ist bei ihnen selbst zu suchen, wie der Satz ausdrückt "Es fällt ihm schwer, ihnen zuzumuten, wöchentlich 90 Minuten an der Gruppe teilzunehmen". Das Erlernen der Arbeit in problembezogener Gruppenarbeit ist für den Leiter und die Leiterin notwendig, was eventuell auch mit Hilfe und Unterstützung durch einen Co-Leiter oder eine Co-Leiterin erleichtert wird. Dies kann auch den späteren Gruppenablauf positiv beeinflussen.

Die Tendenz der Bewährungshelfer/innen, besser ausgebildet zu werden und systematischer in Gruppen zu arbeiten ist stark angestiegen. Das Ausbildungsmodell der DBH bietet hier einen 15-monatigen Lehrgang in problemorientierter Gruppenarbeit an, mit regionalem Erfahrungsaustausch, theoretischem und praktischem Erarbeiten von Gruppenarbeit sowie Supervision.

Der Beitrag endet mit der Forderung, daß die Gruppenarbeit in der BWH installiert werden muß, um eine Veränderung der Arbeit der Bewährungshelfer/innen zu erreichen.

Es wird ,,eine Chance gesehen, die Institution Bewährungshilfe aus ihrer Verkrustung zu lösen und Sozialisations- und Hilfsaspekten mehr Gewicht zu verleihen".

 

6.)     Thema, aus Heft 1 von 1984, DBH - Bonn (Einzelbeitrag)
Berufsbegleitende Fortbildung in problemorientierter Gruppenarbeit, eine Chance für Bewährungshelfer und Probanden Auswertung der persönlichen und berufspraktischen Effizienz des ersten Lehrgangs In personenzentrierter, problemorientierter Gruppenarbeit für hauptamtliche Bewährungshelfer
Günter Kastenhuber, BWH Passau

Herr Kastenhuber hat hier 1983 in der Zeitschrift eine detaillierte Fragebogenauswertung veröffentlicht. Im Vorspann hebt er heraus, daß Gruppenarbeit jetzt integrierter Bestandteil in der Bewährungshilfe sei, denn sie sei die effektivere Betreuungsarbeit.

Eine Weiterentwicklung der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe ist trotzdem unumgänglich.

Teilnehmer/innen des ersten Lehrgangs der DBH, der im Feb. 79 begann und im Aug.80 endete, nahmen an der Fragebogenaktion teil.

Von den angemeldeten 23 Teilnehmern/innen aus der BRD beendeten 18 den Lehrgang. Im Bericht von Kastenhuber wird auf die Abbrüche nicht mehr eingegangen. Anfang 83 hat Herr Kastenhuber hier diese Erhebung bei den Kollegen/innen, die den Lehrgang in personenzentrierter und problemorientierter Gruppenarbeit beendeten, durchgeführt.

Fast alle Befragten berichteten von Problemen durch die starke Fluktuation der Klienten in der Gruppe, bei manchen war dies das Hauptthema. Auch wurde die Rolle des Co-Trainers, der hier in der Gruppe vorgesehen war, sehr unterschiedlich bewertet. Nur die Hälfte der Kollegen/innen, die diese Fortbildung bei der DBH machte, arbeitete zur Zeit der Erhebung noch mit Gruppen in der BWH. Gründe dafür wurden vom Autor in der ,,Nicht-Akzeptanz" der Arbeit durch die Richterschaft gesehen wie auch durch Kollegen/innen, die von ihm dargestellt werden mit Äußerungen, wie: ,,Die Bremsfallschirme der rivalisierenden, auf Gleichschritt achtenden Kollegen tun das übrige".

Beachtung sollte noch finden, daß die Ausbildung von den Kollegen/innen selbst finanziert wurde und nur durch Dienstbefreiung vom Arbeitgeber Unterstützung fand.

 

7.)     Thema aus Heft 4/82 von 1982, DBH - Bonn
Bericht aus der Praxis Gruppenarbeit aus Co-Leiter-Sicht v. Kurt Schäfer, Voerde

Bei den Lehrgängen der DBH für problemorientierte Gruppenarbeit waren neben den Bewährungshelfer/innen Co-Leiter tätig, die nicht aus der Sozialarbeit kamen.

Hier referiert Herr Schäfer über seine Lernerfahrung als Co-Leiter. Er wies darauf hin, daß dies bis jetzt bei den Veröffentlichungen von Texten zu kurz kam.

In seinem Bericht spricht er von Rollenpositionen, die in der Gruppe das Verhalten der Teilnehmer stark mitprägten, da Co-Leiter nicht als Amtspersonen angesehen wurden und daher näher am Klientel waren.

Die Co-Leiter legten daher auch mehr Wert auf die inhaltliche als auf die formale Ebene in der Gruppenarbeit.

Als ,,dritte Qualität", wie er sich bezeichnet, wird durch ihn erst das Konzept dieser Gruppenarbeit mit ermöglicht.

Durch seine Erfahrungen in dieser Tätigkeit kommt Herr Schäfer auch zu dem Schluß, daß Gruppenarbeit eine Zukunft in der Bewährungshilfe hat, da sie überwiegend Vorteile für das Klientel bringt.

 

8.)     Thema aus Heft 3 von 1985, DBH - Bonn
Gruppenarbeit mit arbeitslosen Probanden in der Bewährungshilfe Hannover, Johanna v. Renner-Burka, DipI.So. Päd. Hannover

Die Maßnahme der hier vorgestellten Gruppenarbeit wurde von den Bewährungshelfern mit einem freien Träger, der an das Arbeitsamt angegliedert war, gemeinsam durchgeführt.

Es wurde entsprechend den unterschiedlichen Vorstellungen der Initiatoren ein Versuch durchgeführt. Dieser Versuch war eine Maßnahme des Arbeitsamtes mit Klienten der Bewährungshilfe.

Die Bewährungshilfe trat hier organisatorisch und auf der formalen Ebene zurück, die Förderungsmaßnahme war, auch was den finanziellen Teil betraf, dem Arbeitsamt unterstellt.

Die 20 Klienten aus der Bewährungshilfe, nahmen hier mit zwei Bewährungshelfern und zwei Mitarbeitern des Vereines an der Planung, Durchführung und Auswertung eines vierwöchigen Kurses teil, der täglich über sechs Stunden dauerte.

Trotz klarer inhaltlicher Vorgaben zeigte sich u. a., daß das Problem Alkohol und Arbeitslosigkeit eng beieinander lagen , und daß dies unerwartet einen wesentlich größeren Raum einnahm, als die Initiatoren anfangs vermutet hatten.

In dem Kurs erlebten die Klienten Gruppenarbeit als positive Alternative gegenüber dem Einzelgespräch. Sie konnten Ängste und Verhaltensfehler bei sich leichter überwinden und als Gruppe ihr Selbstwertgefühl besser aufbauen.

Die Bewährungshelfer haben diese Gruppenarbeit als sinnvoll und positiv bewertet. Auch bei den Klienten kam sie gut an, was sich bei ihnen durch die aktive Mitarbeit bestätigte.

Geplante weitere Kurse mußten jedoch aus finanziellen Gründen abgesagt werden, da das Arbeitsamt den freien Träger nicht mehr unterstützte.

9.)     Thema aus Heft 2 von 1985, DBH - Bonn
Erfahrungsbericht über ein Freizeitseminar mit arbeitslosen
Probanden von Nikolaus Steyer, BwHer in Lünen

Von Veranstaltungen, bei denen der Sport im Vordergrund steht, berichtet der Kollege Steyer.

Hier war die sportliche Aktivität der Gruppe der Beginn des Treffens. Die von ihm angesprochenen Probanden waren arbeitslos, die Gruppe umfaßte ca. 12 Klienten. Sie war auch für die Freunde der Probanden offen, was dazu führte, daß sich die Teilnehmerzahl schnell verdoppelte.

Aus diesen lockeren Treffen entwickelten sich gemeinsame Gesprächs- und Bastelgruppen. Eine gemeinsame mehrtägige Fortbildung, die mit vom Jugendamt unterstützt wurde, kam daraus zustande.

Mit dieser mittlerweile festen Gruppe hat der Kollege mit den Klienten ein gegenseitiges schnelles Vertrauensverhältnis aufbauen können, was zu einer später besseren Betreuungsarbeit führte.

Die lockere sportliche Betätigung war für ihn ein idealer Einstieg in Gruppenarbeit.

Auffallend ist aber die Anmerkung des Autors, daß er oft über das sehr positive

Verhalten der Klienten in der Gruppenarbeit überrascht war.

 

10.)   Thema aus Heft 1 von 1990, DBH - Bonn
Die Gruppensprechstunde, Genese einer praxisorientierten Gruppenarbeit
J. Schendler / S. Schwarz / V. Sprenz (BWH - Hannover)

Als Beispiel von einer Möglichkeit der Gruppenarbeit wird von den drei Kollegen/innen die Gruppensprechstunde favorisiert.

Zu Beginn ihres Berichtes teilen sie mit, wie sie Versuche mit problemorientierter Gruppenarbeit unternommen hatten

Im Jahre 1982 hatten sie mit den ersten Vorbereitungen begonnen (siehe vorherige Berichte). Sie hatten ein Konzept erarbeitet für 20 Treffen über jeweils 90 Minuten mit 12 Probanden.

Trotz guter Vorbereitung und Fachwissen sowie auch Rückhalt bei den Kollegen/innen in der Dienststelle wurde es nach einem Probelauf als gescheitert angesehen. Die Fluktuation der teilnehmenden Klienten war viel zu groß, der zeitliche Mehraufwand bei ihrer Arbeit stand nicht im Verhältnis zum Erfolg.

Dadurch stand für sie fest, eine Entscheidung zu treffen: Aufzuhören mit der Gruppenarbeit, eine Denkpause einzulegen, Fortbildung zu belegen oder so weiterzumachen.

Auch diese vier Überlegungen überzeugten sie nicht. Die Praxis hatte ihnen, nach ihrer Aussage gezeigt, daß die Arbeitsorganisation mehr das Alltagsverhalten der Klienten berücksichtigen muß.

Das Gruppenverhalten der Klienten im Wartezimmer wurde von ihnen aufgenommen. Diese Kommunikationsstruktur sollte erhalten bleiben und daraus Gruppenarbeit entwickelt werden.

So starteten sie 1984 den Versuch, Gruppensprechstunde in ihrem Büro anzubieten. Es gab hier weder einen organisatorischen noch einen inhaltlichen Zwang für die Gruppe, auch bestand weiterhin die Möglichkeit der Einzelgespräche für diese Probanden.

Aus diesem Angebot kam eine feste und kontinuierlich arbeitende Gruppe zustande.

Das Verhältnis von Bewährungshelfer zum Probanden veränderte sich schnell. Die Probanden konnten sich gut auf die Gespräche einstellen, da immer mehrere Kollegen teilnahmen.

Entgegen ihren Erwartungen waren es die älteren und schwierigen Klienten, die regelmäßig in die Gruppe kamen.

Dieses Gruppenangebot kam so gut bei den Probanden an, daß sich daraus auch eine längere Freizeitveranstaltung entwickelte.

In dieser Arbeit, die auch den Kollegen selber am meisten Spaß machte, sehen die Autoren die ideale Form von Gruppenarbeit, die auch zeitlich am effektivsten zu realisieren ist.

 

11.)   Thema aus Heft 2 von 1983, DBH - Bonn
Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit wiederholt auffälligen Verkehrsstraftätern in der Bewährungshilfe als Alternative zum Strafvollzug - Erster Erfahrungsbericht - Arnold Hummel / Erika Pioch - BwH Berlin

Im Vordergrund dieser Versuchsgruppe steht, daß es von Beginn an nicht um eine freiwillige Teilnahme der Klienten ging.

Die Teilnahme erfolgte auf richterliche Weisung, eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe wäre sonst die Folge gewesen.

Hier wird von Richtern und Pädagogen auf Gruppenarbeit zurückgegriffen, um bei dem Klienten in kurzer Zeit sein Verantwortungsbewußtsein zu wecken und seine Persönlichkeitsdefizite aufzuarbeiten.

Im Vordergrund steht hier natürlich, entsprechend seiner Straftat, der Alkoholmißbrauch. Hier wird dem Probanden in der Gruppe mit dem Dazuziehen von verschiedenen Fachleuten sein Alkoholproblem bewußt gemacht.

Diese überaus feststrukturierte Gruppenarbeit stieß anfänglich bei den Klienten auf Ablehnung. Im Laufe der Gruppenarbeit ließ dieser Widerwillen stark nach, es entwickelte sich meist eine aktive Mitarbeit.

Nur wenige Gruppenmitglieder sind aus der Gruppe ausgeschieden.

Die Autoren betonen, daß nur durch Gruppenarbeit diese intensive Einwirkungsmöglichkeit auf Klienten gegeben war, und so die Verbüßung der Strafe ausgesetzt werden konnte.

12.)   Briefwechsel (als Mitteilungsmöglichkeit unter Kollegen/innen)
Thema aus Heft 4 von 1992, DBH - Bonn, Innovative Arbeit in der Bewährungshilfe, Konzeptionsentwicklung am Beispiel des Projektes Alkoholmißbrauch und Straffälligkeit - von Hilde HöII, BwH in Stuttgart

In diesem "Briefwechsel" schildert Frau Höll den Kollegen/innen, daß sie nach vielen Jahren der Tätigkeit als Bewährungshelferin aus dem Gefühl der Stagnation am Arbeitsplatz heraus die Überlegungen zur Gruppenarbeit entwickelt hat.

Sie kritisiert, daß die existierenden Freiräume, die in der Arbeit der Bewährungshilfe vorhanden sind, von den Kollegen/innen nicht genug genutzt werden.

Ihre Versuche auf Veränderungen der Arbeit (z.B. durch Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe) werden von Justizminister und Richterschaft unterstützt, sie wird für diese Tätigkeit teilweise freigestellt.

In dem Artikel berichtet sie von einem Kurs, der den Probanden in Gruppenarbeit die Probleme wie ,,Alkoholmißbrauch und Straffälligkeit" näher gebracht hat. Diese zeitlich und inhaltlich strukturierte Gruppe ist eine positive Veränderung in der Arbeit, nicht nur aus Sicht des Klientels, sondern auch nach Meinung der Betreuer.

Sie hebt provokativ heraus, daß die Fixierung auf Einzelfallarbeit in der Bewährungshilfe für sie überholt sei.

Sie fordert die Kollegenschaft auf, aktiver und kreativer in ihrer alltäglichen Arbeit zu werden und mehr Veränderung zu zulassen.

13.)   Thema aus Heft 2 von 1993, DBH - Bonn
Einzelarbeit contra Gruppenarbeit
Reinhild Pohl-Burbliess - Gedanken beim Lesen des Artikels Frau HöII über Innovative Arbeit in der Bew.Hi. aus 4192

Der vorangegangene Artikel von Frau Höll hat bei der Kollegin R. Pohl-Burbliess keine Zustimmung gefunden.

Die Kollegin, die sich als ,,offen gegenüber Projekten" beschreibt, fühlt sich von der Darstellung über die nicht mehr aktuelle Einzelarbeit in der Bewährungshilfe durch Frau Höll herabgesetzt.

Sie hält Frau Höll einen Grundsatz der Bewährungshilfe vor, daß die ,,eigene Persönlichkeit wichtigster Bestandteil der Arbeit" bei uns ist. Das Einzelschicksal unserer Klienten soll nicht durch das ,,Hochlebenlassen" von Therapieformen in den Hintergrund gedrängt werden.

In ihrem Artikel beschreibt Frau PohI-Burbliess ihre langjährige Erfahrung als Bewährungshelferin, in der auch in ihrer Dienststelle Projekte erarbeitet wurden und oft wieder erfolglos endeten.

Sie selbst hat auch in Gruppen mitgearbeitet, aber die Einzelfallarbeit ist für sie nach wie vor der Schwerpunkt in der Bewährungshilfe.

Die unterschiedlichen Arbeitsstile sollten in der Bewährungshilfe nebeneinander existieren.

Abschließend verwahrt sie sich gegen das grundsätzliche Herabsetzen von Methoden in der Bewährungshilfe, was dazu führen kann, daß das Gefühl entsteht, daß hier eine ,,bessere Arbeit" geleistet wird.

 

 

14.)   Thema aus Heft 1 von 1994
Muß die Bewährungshilfe soziale Trainingskurse durchführen?
Dr. Andreas Hohendorf, Richter am AG Höxter

Herr Richter Hohendorf stellt in seinem Bericht Überlegungen nach Forderung von sozialen Trainingskursen in der Bewährungshilfe an.

Seine Überlegung zur Veränderung der Arbeitsinhalte in der BWH entwickeln sich aus der Notwendigkeit des Richters, für seine Weisungen eine Umsetzmöglichkeit zu finden.

Er schildert Schwierigkeiten mit dem Jugendamt bei der Durchführung von sozialen Trainingsmöglichkeiten für jugendliche Straftäter.

Er fragt sich, ob die Bewährungshilfe hier nicht auch ein Angebot anbieten sollte. Das Jugendamt hatte sich geweigert, bestimmte Jugendliche mit richterlicher Weisung in der Gruppe aufzunehmen. Bei der Frage, wer diese Maßnahme dann durchführen könnte, ging seine Überlegung zur Bewährungshilfe. Rechtlich gibt es die Möglichkeit dazu.

Nach seiner Meinung werden hier langwierige Streitereien auf dem Rücken der Delinquenten ausgeführt, wo bei ihm eigentlich der Arrest erspart werden sollte.

Bei dem Konflikt mit dem Jugendamt weist der Richter das Argument, daß bereits vorbestrafte Jugendliche die Gruppe negativ beeinflussen könnten, zurück. Er vermutet eher Kostengründe beim Jugendamt, einen solchen Kurs nicht anzubieten.

 

15.) Vermerk zur der Auffindung von Fachartikeln zu diesem Thema

Neben der Vielzahl in der Gruppenarbeit, die ich hier vorstellte, wurden in den vielen Jahren noch andere Modelle und Versuche unternommen, die Arbeit in der Bewährungshilfe zu verändern

 

Hier möchte ich nur auf weitere Berichte aus den Heften der DBH verweisen, wie

ein Thema aus Heft 3 von 1983 -,,Einige Überlegungen zur (verhaltensanalytischen) Gesprächsführung in der Bewährungshilfe" von Dr. Siegfried Grosse, Linden;

aus Heft 4 von 1987 von Sven Nachmann zum Buch von Fiedler u.a. Psycho. Verlag München über ,,Gruppenarbeit mit Angehörigen schizophrener Patienten"

und aus Heft 4 von 1983 mit dem Thema ,,Familientherapie in der Bewährungshilfe in interdisziplinärer Co. Therapie" von Prof. Dr. Hans Goldbrunner, Uni. Essen.

Der Abschlußbericht über ,,Problemorientierte Gruppenarbeit mit Probanden" in Hessen aus dem Jahre 79/80 konnte von mir nicht berücksichtigt werden, da dieser mir nicht zur Zeit vorlag.

Außer dem Buch ,,Soziale Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe - Aufbau einer Regionalgruppe -", von Herrn N. Lippenmeier, DBH Bonn, 1991 konnte ich keine mir empfohlene Fachliteratur in der Zeit dieser Berichtserfassung heranziehen, da fast sämtliche Bücher und Fachschriften, die vor mehr als zehn Jahren erstellt wurden, vergriffen sind.

 

16.)   Bericht aus meiner eigenen Arbeit In der Bewährungshilfe

In meiner Anfangszeit als Bewährungshelfer (Ende der 70er Jahre) gab es häufig Gespräche über Gruppendynamik und Gruppenbildung unter Bewährungshelfern/innen.

Selbsterfahrung und Überlegungen zur Gesellschaftslehre beeinflußten unsere Tätigkeiten.

Bedingt durch die Sonderstellung bei der Justiz bestand bei der Bewährungshilfe in den 60er und 70er Jahren das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Aber daher hatten sie auch die Chance, die manchmal genutzt wurde, neue Wege zu gehen.

Die teilweise vorhandene Unsicherheit bei der BWH als ,,Sondergruppe in der Justiz" und auch als ungeliebtes Kind (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Richter), wurde durch Suchen nach einem ,,Wir-Gefühl" bei den Kollegen/innen abgebaut.

 

Aspekte für unser Arbeiten in der Gruppe der Bewährungshilfe sind von uns mit Äußerungen wie: ,,Vertrauen", ,,Tragfähigkeit der Gruppe" sowie ,,trotz Auseinandersetzung keine Feindschaft unter uns entstehen zu lassen" ausgedrückt worden. Darüber wurde viel bei uns gesprochen, und es wurde auch in Fortbildungsseminaren ausprobiert, aber trotzdem trat Gruppenarbeit mehr und mehr in den Hintergrund bei unserer alltäglichen Arbeit.

Nicht nur unser Klientel wird durch die ständigen Veränderungen in der Gesellschaft mit verändert, auch wir müssen die Schwerpunkte unserer Arbeit darauf abstellen.

Aber auch als Teil der Gesellschaft unterliegen wir den Veränderungen. So sind wir gezwungen, uns auf zwei Ebenen zu ändern.

Bleibt deshalb die Forderung der Veränderung in unserer Arbeit, wie am Beispiel Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe, auf der Strecke, weil es einfach zu viel für uns wird?

Nach wie vor ist Gruppenarbeit unter Sozialarbeiter/innen sowie Gruppenarbeit mit dem Klientel die große Ausnahme in der Bewährungshilfe.

Das Verhältnis theoretischer Beschäftigung von Bewährungshelfer/innen mit Gruppenarbeit und das praktische Arbeiten mit Gruppen scheint nicht im Einklang miteinander zu stehen.

Hat Gruppenarbeit doch mehr mit unseren persönlichen Wünschen nach Gruppenzugehörigkeit zu tun? Können wir Bewährungshelfer/innen nur sehr schlecht akzeptieren, daß wir eigenständig unser Dezernat führen und deshalb in unseren Dienststellen isoliert ohne Gruppengefühl arbeiten?

Fehlt uns die Anerkennung durch Kollegen und Richter? Oder fällt es uns Sozialarbeiter/innen so schwer zu akzeptieren, daß wir nur oder auch zum Glück in Bürogemeinschaften arbeiten?

Fast sämtliche von mir hier vorgestellte Berichte der Kollegen enden mit der Empfehlung, Gruppenarbeit zu installieren, ihr eine stärkere Bedeutung zu geben sowie das Feld der Einzelfallarbeit zu verlassen.

Wenn diese Forderungen nicht elitär erhoben werden, was dann zu dem o.a. angeführten Briefwechsel führte, können sie auch von der Mehrheit der Kollegen/innen mitgetragen werden. Aber müßte dann nicht mittlerweile überall schon Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe angewandt werden?

Da in den Artikeln aber auch von Gruppenarbeit berichtet wird, wenn auch nur am Rande, die eingestellt wurde, gehe ich davon aus, daß dies auch noch öfter der Fall ist. Berichte darüber, warum und wieviele BWH Gruppenarbeit beendeten, konnte ich leider nicht finden.

Aus meinen Erfahrungen als Bewährungshelfer möchte ich hier ein Beispiel dazu anführen.

Eine über mehrere Jahre laufende Gruppenarbeit in meiner Dienststelle, die Ende 1995 eingestellt wurde, möchte ich hier heranziehen. Auch liegt hier kein abschließender Bericht vor. Eine detaillierte Ausarbeitung konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Vor 10 Jahren wurde über den Hess. Minister der Justiz hier ein Projekt installiert mit dem Thema

,,Sozialpädagogische Gruppenarbeit mit wiederholt alkoholauffälligen Verkehrsstraftätern"

Dieses Projekt wurde dem Berliner Modell nachempfunden. Es wurde mit zwei zusätzlichen Stellen in der Bewährungshilfe in Frankfurt und einer Stelle bei der Gerichtshilfe in Frankfurt ausgestattet.

In den Räumen der Bewährungshilfe sollten die Gruppenveranstaltungen durchgeführt werden. Die für diesen Kurs tätigen Mitarbeiter/innen wurden fachlich gesondert geschult (TÜ-Mainz) und nahmen an Supervisionsveranstaltungen teil.

Sämtliche Kosten, auch Ausbildung und Supervision für die Kollegen/innen, trug der Arbeitgeber.

Werbeveranstaltungen für dieses Projekt wurden bei der Richterschaft vom Ministerium mit gefordert und unterstützt.

Daß die Mehrheit der Bewährungshelfer/innen in Frankfurt dieses Projekt ablehnten, möchte ich nur kurz erwähnen. Diese Ablehnung hatte aber keinen Einfluß auf dessen Verlauf.

Nach anfänglich recht guten Erfolgen in dieser Gruppenarbeit und auch guter Resonanz bei den Richtern zeigten sich aber bald zunehmende Probleme. Die Übernahme eines Projektes aus einer ,,Inselstadt", die Berlin damals noch war, auf eine Großstadt mit ländlichen Randbezirken (Landgerichtsbezirk Frankfurt) war nicht so möglich.

Die Schwierigkeiten der Probanden (alle ohne Führerschein) zum Gruppengespräch zu gelangen, war schon wegen der nicht vorhandenen öffentlichen Verkehrsverbindungen im Raum Frankfurt in den Abendstunden für sie fast unmöglich. Es zeigte sich auch schnell, daß die Verkehrskontrollen in Berlin durch die Polizei bestimmt häufiger stattfanden. Der in Frankfurt verurteilte Personenkreis hatte erheblich größere Alkoholprobleme (fortgeschrittene Suchterkrankungen), die dann in der Gruppe nicht mehr behandelt werden konnten. Hier mußte dann eine stationäre Unterbringung in Facheinrichtungen eingeleitet werden.

Der Hauptgrund für die ständig rückläufigen Teilnehmerzahlen war aber bei den Staatsanwälten und Richtern zu suchen. Hier wurde das Projekt zunehmend nicht mehr genutzt.

In den letzten zwei Jahren kam dann durch die schwache Belegung keine einzige Gruppe mehr zustande. Vereinzelte Klienten mit richterlichen Weisungen wurden dann an die TÜ-Hessen weitervermittelt.

Zum Jahreswechsel wurde das Projekt vom Ministerium eingestellt, die drei Kollegen/in wurden vorübergehend in den allgemeinen Ablauf der Dienststelle eingegliedert.

Daraus konnte ich auch wieder erkennen, daß nur durch eine kontinuierliche Zusammenarbeit aller Betroffenen die Projekte in der BWH Erfolg haben können. Bereits das Ausscheren einer Gruppe oder das halbherzige Einsetzen von Kollegen in das Projekt kann hier das Aus bedeuten.

Dies ist aber auch bei unserer alltäglichen Fallarbeit so, hier wird jedoch dann eine flexiblere Umverteilung vorgenommen oder es fällt nicht auf, da eine Kontrollfunktion fehlt.

Nach meiner Meinung hat die Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe es so schwer richtig in Schwung zu kommen, weil sie mit Mehrarbeit, mit Verbindlichkeit und Planung für den Betreuer/in zu tun hat, und sie ist plötzlich mehr, zumindest von dem Klientel, vom Co-Trainer und von der Supervisionsgruppe kontrollierbar.

Bewährungshelfer/innen sind, bedingt durch Lebensalter und Verschleiß, durch 20jähriges Arbeiten in ihrem Beruf oft bequem oder inaktiv geworden. Sie wollen dann auf keinen Fall eine Veränderung der Arbeit mit Klienten und in ihrem Büro, die mit ,,Mehrarbeit" zu tun haben könnte.

Vielleicht ist es auch nur die persönliche Bequemlichkeit oder auch die Angst, den gewohnten Weg zu verlassen.

Es fällt mir bei der Arbeit über diesen Bericht auf, daß viele Bewährungshelfer/innen, auch wenn sie sehr oft unzufrieden über ihre Arbeitssituation und Arbeitgeber sind, vom Studium bis zur Rente in ihrer Dienststelle verbleiben. Leider geht der Mut zur Veränderung immer nur von wenigen aus.

Es scheint mir, daß aus diesen Anmerkungen von mir auch ein Hinweis zu entnehmen ist, wieso die Theorie so wenig in die Praxis der Arbeit mit Probanden umgesetzt wird.

Ist dies vielleicht einer der Gründe für das oft Nichtzustandekommen von Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe?

Dieser Lehrgang beginnt jetzt für mich und ich werde danach mehr darüber sagen können.

 

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Claudia Langer, Bewährungshelferin beim LG Kassel, Beratungsstelle Fritzlar

 

Einzelhilfe, Gruppenarbeit

Methoden der Bewährungshilfe im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Mitteilungspflicht

 

Einleitung:

1.        Auch die Bewährungshilfe wird von den verfassungsrechtlichen Grundsätzen und Prinzipien entscheidend mitgeprägt und zwar dem Rechtsstaatprinzip, dem Sozialstaatsprinzip und von der föderativen Grundstruktur der Verfassung (Bund- und Länderverhältnis).

Auch ein Straftäter ist Träger von unverzichtbaren Freiheits- und Grundrechten. Insbesondere Artikel 1 Grundgesetz (Menschenwürde). Die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde ist der höchste Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung. Neben dem Schutz der Menschenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht (Artikel 2 Grundgesetz) steht die Resozialisierung. Sie ist eine Verpflichtung der Gesellschaft. Das Sozialstaatsprinzip nach Artikel 20 Grundgesetz verlangt die staatliche Vorsorge und Fürsorge der Gruppen, die aufgrund ihrer persönlichen Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlichen Benachteiligung in ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung verhindert sind. Hierzu gehören aus meiner Sicht auch Straftäter, d.h. Gefangene und Entlassene.

2.        In meiner täglichen Arbeit als Bewährungshelferin habe ich immer wieder über Fragen der Verschwiegenheit, Mitteilungspflicht, Datenschutz, Aufnahme von Kenntnissen in Akten und Konsequenzen daraus zu entscheiden.

Die Vorgaben sind vor allem:

-          der Bewährungshelfer/in berichtet über die Lebensführung ...,

-          der Bewährungshelfer/in steht dem Verurteilten helfend und betreuend zur
Seite...,

-          er/sie überwacht im Einvernehmen mit dem Richter die Erfüllung der Weisungen, Auflagen ...,

-          § 203 Abs. 1 StGB: wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis ... , das ihm als ... staatlich anerkannter Sozialarbeiter ... oder staatlich anerkannter Sozialpädagoge ... anvertraut oder sonst bekannt geworden ist, wird ... bestraft.

(Mit Zustimmung des Betroffenen ist die Offenbarung solcher Geheimnisse selbstverständlich nicht unbefugt.)

-          Datenschutzrechtliche Regelungen sind zu beachten.

-          Die Handakte des Bewährungshelfer/in muß die dienstliche Korrespondenz enthalten sowie Vermerke über die Gespräche und sonstige Aktivitäten. Einsichtsrecht haben der Dienstherr und der bewährungsaufsichtsführende Richter. Weiteres zur Aktenführung und Einsicht ist in den für uns verbindlichen Verwaltungsvorschriften geregelt.

-          Bewährungshelfer/in sollen mit anderen Dienststellen wie Jugendamt, Sozialamt, Suchtberatung und sonstigen Beratungsstellen zusammenarbeiten.

Allen Bemühungen zum Trotz finden sich für mich Widersprüche darüber, wann welche Mitteilung des Probanden wie entschieden werden soll, sowohl nach rechtlichen aber auch nach sozialarbeiterischen Gesichtspunkten. Wann bin ich verpflichtet, dem Gericht zu berichten, wann befugt oder nicht im Spannungsfeld zwischen Verschwiegenheitspflicht, Datenschutz und Mitteilungspflicht, Kenntnisse weiterzugeben.

 

3.      Gestaltungsfaktoren der Bewährungshilfe:

Die Bewährungshilfe gliedert sich in unterschiedliche Rechtsverhältnisse, Rechtsbeziehungen und Beziehungsebenen auf:

a.         Gericht - Verurteilter

b.         Bewährungshelfer/in - Proband

c.         Bewährungshelfer/in - Gericht

d.         Bewährungshelfer/in – Anstellungsträger

 

a.      Die Rechtsbeziehung - Beziehungsebene

         Gericht - Verurteilter

Der Inhalt der Rechtsbeziehung zwischen Gericht und Verurteilten ist gesetzlich geregelt. Ziel sollte es sein, den Verurteilten von weiteren Straftaten abzuhalten, auch wenn im übrigen nicht jede Straftat die "Bewährungserwartung" widerlegt. Im Rahmen der Bewährungszeit überwacht das Gericht nach § 453 b StPO die Lebensführung des Verurteilten, namentlich die Erfüllung von Auflagen/Weisungen, Anerbieten/Zusagen.

 

b.      Die Rechtbeziehung - Beziehungsebene

         Bewährungshelfer - Proband

Hier werden 2 Aufgabenbereiche gesehen und zwar:

1.        die Kontrolle/Überwachung von Auflagen/ Weisungen/ Anerbieten und Zusagen;

2.         die Hilfe und Betreuung.

Zu 1:  die Kontroll- und Überwachungsaufgaben der Bewährungshilfe sind durch konkrete gerichtliche Entscheidungen vorgegeben. Sie sind originär - richterliche Aufgaben. Durch konkrete Bestellung eines Bewährungshelfers aufgrund der gesetzlichen Ermächtigungen nach § 56 d Abs. 3 StGB an den Bewährungshelfer/in übertragen worden - quasi delegiert. Sie kann von dem Bewährungshelfer/in nicht autonom ausgeführt werden, sondern im Einvernehmen mit dem Gericht.

Zu 2:  Der Aufgabenbereiche Hilfe/Betreuung

Grundelement einer Betreuung ist die persönliche Beziehung, wobei die Methode, die Form und das Ziel der Hilfeleistung von vornherein klar sein muß. Die Bezugspunkte der Bewährungshilfe ergeben sich in erster Linie im methodischen Handlungsinstrumentarium der sozialen Arbeit. Voraussetzung für eine helfende Beziehung ist, daß die persönliche Beziehung zwischen Proband und Bewährungshelfer/in vom gegenseitigen Vertrauen getragen wird. Ziel einer Beziehungsarbeit sollte u.a. sein, daß Affekte abgestellt werden, ein Bewußtsein geschaffen wird, über das Erlebte zu sprechen und über die Beziehungsebene den Probanden in die Gemeinschaft zurückzuführen.

Von dem Probanden wird das Rechtssystem als sehr abstrakt gesehen, da er nicht in dieser Welt lebt.

Nicht zu vergessen ist hierbei jedoch, daß die Bewährungszeit ein begrenzter Zeitraum ist, der gerichtlicherseits vorgegeben ist und Ziel sollte auch sein, daß der Proband auch nach Ablauf der Betreuungszeit selbständig ein rechtschaffenes Leben führen kann.

Auf diesen Punkt der Hilfe und Betreuung möchte ich deshalb näher eingehen, da dies in meiner Tätigkeit als Bewährungshelferin für mich die größte Bedeutung hat. In meiner täglichen Arbeit habe ich in diesem Zusammenhang in der Gruppenarbeit erfahren, daß ich hierdurch in eine Konfliktsituation hineingerate. Das erwünschte Ziel der Gruppenarbeit Offenheit und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bewährungshelfer/in und Proband bedeutet häufig, daß ich Informationen bekomme, die in der Einzelhilfe voraussichtlich nicht in diesem Maße bekannt geworden wären. In einer vertrauten Gruppensitzung erzählte ein Proband, daß er illegale Drogen konsumieren würde. Ein anderer Proband warf in die Runde: "Wir sind ja hier unter uns" und schaute mich erwartungsvoll an. Zum einen wollte ich in dieser Situation nicht zum Kumpanen des Probanden werden, indem ich es für mich behalte, zum anderen wollte ich das geäußerte Vertrauen mir gegenüber nicht mißbrauchen, indem ich diese mir bekannte Straftat dem bewährungsaufsichtsführenden Richter mitteile.

In der Einzelhilfe entsteht seltener eine Atmosphäre solcher Offenheit und des Vertrauens. Beim Bemerken eines möglichen illegalen Drogenmißbrauchs vermittelte ich an die hiesige Drogenberatungsstelle. Die dortigen Mitarbeiter haben ein Zeugnisverweigungsrecht und keine Berichtspflicht gegenüber dem Gericht. Dieses Beispiel soll nochmals den Konflikt zwischen Aufsicht und Hilfe sehr deutlich machen, wobei ich deutlich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen möchte, daß die Justiz sich bei der Einführung der Bewährungshilfe für Sozialarbeiter/-pädagogen entschieden hat.

Kontroll- und Überwachungsfunktion könnten auch von vielen anderen Berufsgruppen ausgeführt werden. Die soziale Arbeit ist jedoch nur auf einer Vertrauensbasis möglich und fordert daher aus meiner Sicht zwingend ein Zeugnisverweigerungsrecht für Bewährungshelfer/innen.

Soziale Arbeit der Bewährungshilfe darf keine Ermittlungstätigkeit sein. Die von den bewährungsaufsichtsführenden Richtern häufig zu hörenden Erwartungen der Aufsicht und Kontrolle bedeuten für mich im Extremfall einen Mißbrauch unserer Berufsgruppe.

Ich hoffe, ich habe mit meinen Ausführungen deutlich gemacht, wie häufig die Diskrepanz zwischen Mitteilungspflicht und Vertrauen der Probanden sowie der verständlichen Überlegung sozialarbeiterische Verschwiegenheit zu üben, in der praktischen Bewährungsarbeit erlebt wird.

Ich will als Bewährungshelferin nicht das soziale Feigenblatt der Justiz sein, die eigentlich sozialarbeiterisches Handeln geringer wertet als die Überwachungs- und Kontrollfunktionen, andererseits aber auf Sozialarbeiter nicht verzichten will.

Bei der Vorbereitung für dieses Referat und der von mir verwendeten Literatur ist mir aufgefallen, daß das Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Mitteilungspflicht ein unausgesprochenes aber offensichtliches Fragezeichen hinterläßt, das nicht fokussiert wird.

 

c.      Die Rechtsbeziehung - Beziehungsebene

         Bewährungshelfer - Gericht

Hier wird ein dreifacher Auftrag an die Bewährungshilfe vorgegeben (gesehen) und zwar:

1.        die Kontroll- und Überwachungsaufgaben für Auflagen/Weisungen/Anerbieten und Zusagen;

2.        dem Probanden die Möglichkeiten von Hilfe/Betreuung zu geben;

3.        die Lebensführung des Probanden dem Gericht zu berichten.

 

d.      Das Rechtsverhältnis - Beziehungsebene

         Bewährungshelfer - Anstellungsträger

Die dienstlichen Fragen - und aufsichtsrechtlichen Belange sind durch die jeweiligen Landesgesetze geregelt. Die dienstrechtlichen Weisungen haben allerdings ihre Grenzen und zwar dort, wo die richterliche Unabhängigkeit beginnt.

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Holger Scharf, Bewährungshelfer beim LG Gießen

 

"Theoretische Aspekte zu den Begriffen: Gewalt, Jugend und
Subkultur"

Beitrag zum Abschlußkolloquium am 01.10.1997

Einleitung

Die Thematik der Gewalt im Kontext der Jugendkriminalität beherrscht seit einigen Jahren, insbesondere seit den schlimmen Anschlägen gegen ausländische Mitbürger die öffentliche Diskussion. Sie findet ihren Niederschlag in vielerlei Medien seriöser und bedenklicher Machart, sie prägt aber auch die fachliche Auseinandersetzung in umfangreicher Weise und ihre Suche nach angemessenen Reaktionen.

Ob prügelnde Jugendgruppen auf Zeltplätzen, Erpresserbanden auf Schulhöfen, Jugendgangs in den Problemgebieten der Ballungszentren oder gewaltbereite Skinheads, sie alle wecken das öffentliche Interesse. Immer wieder zu hören die lauten Rufe nach verstärkten staatlichen Sanktionen durch Verschärfung des (Jugend-) Strafrechts, Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze oder auch dem Verlangen nach nächtlichen Ausgangssperren für Kinder und Jugendliche (Frankreich) oder der Wiedereinführung geschlossener Heime.

Interessanter Weise steht aber die subjektive Befürchtung Erwachsener Opfer einer Gewalttat zu werden, die Ursprung solcherlei Forderungen ist, offenbar in keinem Verhältnis zur realen Gefahrenlage. Wie Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover erst vor wenigen Tagen in einer Sendung des Hessischen Rundfunks ausführte, sind Erwachsene in Deutschland, im Gegensatz zu Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden, im Vergleich zu den achtziger Jahren nicht häufiger von Gewaltakten betroffen. Anders aber die Situation bei den jüngeren Jahrgängen, bei denen eine signifikante Steigerung feststellbar ist und zwar als Täter und Opfer.

Ich will mich im Folgenden mit Aspekten zu den Begriffen Gewalt, Jugend und Subkultur befassen.

Gewalt

Zum Begriff der Gewalt nur einige kurze Anmerkungen. Unter Gewalt versteht man ein zielgerichtetes, zumindest "gerichtetes" Schädigen, Beeinträchtigen und Schmerzzufügen. Gewalt wird in der psychologischen Betrachtung als Unterform der Aggression, insbesondere im Falle von körperlichen Aggressionen betrachtet.

Erklärte man Aggression früher mit Erkenntnissen aus der Triebtheorie (hydraulisches Energiemodell, Abbau von Aggressionen um seelische Störungen zu vermeiden, Vertreter Freud und Lorenz) oder der Frustrationstheorie, so richtet man den Blick heute im Wesentlichen auf die Lerntheorie (Lernen ist die Veränderung personaler Dispositionen aufgrund von Erfahrungen). Nachahmungslernen (Eltern, soziales Umfeld, Bezugspersonen, Gruppe, aber auch Medien), Lernen durch Erfolg oder Mißerfolg und kognitives Lernen (Lernen also durch Wissensbildung). Begriffe wie "Notwehr", "Feind", "Ehre"..., Denkweisen wie "Strafe muß sein", "Grober Klotz auf groben Keil" implizieren und legitimiere damit möglicherweise den Einsatz von Gewalt.

Eine reine Lehre zum Aggressionsbegriff ist nicht zu erwarten.

Aggressives Verhalten ist vielmehr die Summe, das Ergebnis komplexer psychischer Prozesse, die wiederum einer Vielzahl von personalen und situativen Bedingungen unterliegen.

 

Jugend und Subkultur

Pfeiffer, wie ausgeführt, stellt bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden eine signifikante Affinität zu Gewalt fest.

Was könnten Gründe sein für dieses Phänomen?

Ich will im Folgenden einige Erklärungsversuche anhand der Forschungen von Heitmeyer und Willems vorstellen, die im Auftrage des Bundesjustizministeriums bzw. des Bundesministeriums für Frauen und Jugend erstellt wurden.

 

Desintegrationstheorie

Heitmeyer, Jugend- und Konfliktforscher, sieht in fremdenfeindlicher Gewalt und auch, wie später noch ausgeführt, im Falle der Gewaltbereitschaft ethnischer Minderheiten, eine Folge von Desintegrations- und Deklassierungserfahrungen.

Ausdifferenzierungs-, Enttraditionalsierungs- und Individualisierungsprozesse sind demnach kennzeichnende Prinzipien für desintegrative Entwicklungen entwickelter (kapitalistischer) Gesellschaften.

Die rasante ökonomische und technologische Modernisierung hinterläßt Spuren: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Es geht nicht mehr nur um Ausgrenzung von Randgruppen, der Bildung von Zweidrittel-Eindrittel-Gesellschaften. Festzustellen sind Auflösungserscheinungen basaler Natur:

-          Auflösungsprozesse in den Beziehungen der Menschen untereinander, in ihren Lebenszusammenhängen in Familie und Milieu.

-          Auflösungsprozesse in Bezug auf die Teilnahme der Menschen an entscheidenden gesellschaftlichen Institutionen (Schule, Ausbildung, Arbeit, Beruf, Politikbeteiligung).

-          Auflösungsprozesse im Rahmen der Verständigung über gemeinsame Wert- und Normvorstellungen (Moral, Religion, Politik, Demokratieverständnis).

Willems kommt in seiner Auswertung einer flächendeckend angelegten Untersuchung zu dem Ergebnis, daß echte Desintegrationserscheinungen, wie von Heitmeyer insbesondere im Bereich familialer Desintegration und Nichtteilhabe an der Arbeitswelt postuliert, nur für einen Teil der Gewalttäter feststellbar seien und relativiert damit Heitmeyers Thesen.

In der Regel verfügten jugendliche Gewalttäter des rechtsradikalen Spektrums über niedrige aber zumindest formale Bildungs- und Berufsqualifikationen. Desintegration werde eher in Form von Angst vor Desintegration erlebt. Nicht tatsächlich erlebte Arbeitslosigkeit, sondern Angst vor dieser und dem damit verbundenen sozialen Abstieg und Konkurrenzen herrsche vor.

Soziale Spannungen, Ungleichheitserfahrungen sowie Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen böten wichtige aber keine hinreichenden Erklärungen des Phänomens.

Die individuellen Gegebenheiten der Täter, deren spezifischen Handlungsmöglichkeiten, Kompetenzen und Gelegenheitsstrukturen würden hierbei nicht ausreichend berücksichtigt.

 

Individualisierungstheorie

Auch der Individualisierungsbegriff nimmt Bezug auf gesellschaftliche Strukturveränderungen. Ins Blickfeld fällt hierbei besonders der Bedeutungsverlust traditionellen Milieus, Familie, Kollegen Nachbarschaften für die individuelle Eingebundenheit, Lebensplanung und Entwicklung. Mit der gesteigerten sozialen und örtlichen Mobilität, der Vielfältigkeit von Lebenszusammenhängen ist der Wegfall tradierter Orientierungsmuster verbunden. Die Menschen werden aus ihren ursprünglichen Strukturen herausgelöst und bleiben auf sich selbst verwiesen. Mit allen Chancen und Risiken:

-          Erforderlich wird eine Vielzahl von individuell zu treffenden Wahlentscheidungen (Bildung, Beruf, Partnerwahl, Wohnsitz, Kultur...) und damit zwangsläufig verbunden Orientierungsbedarf.

-          Eine weitere Folge des Verlustes tradierter Orientierungsmuster sind damit auch der Wegfall sozialer Kontrolle und Sanktionierung durch das Ursprungsmilieu, die Entstehung von Anomieräumen (Zustand mangelnder sozialer Ordnung, vgl. Durkheim u. Merton).

-          Ferner steigern sich die Konkurrenzbeziehungen der Menschen in Schule und Beruf, auf dem Freizeit- und Beziehungsmarkt. Individualistische Konkurrenz- und Erfolgsorientierungen werden zu bestimmenden Werten.

Willems räumt ein, daß aber auch der Individualisierungsansatz als Erklärungsmuster nicht ausreichend erscheint, das Gewaltphänomen befriedigend zu beantworten. Denn dem Individualisierungsdruck sind, ebenso wie im Falle der Heitmeyerschen Desintegrationserklärungen durch Arbeitslosigkeit, eine Vielzahl von Menschen ausgesetzt ohne entsprechend auffällig zu werden.

Eine entscheidende Bedeutung kommt vor dem Hintergrund der Individualisierungserscheinungen der Herausbildung jugendlicher Subkulturen bei der Suche junger Menschen nach Orientierung und Identität zu.

Wie wir wissen, werden fremdenfeindliche Straf- und Gewalttaten aus Gruppen heraus begangen. Skinheadgruppen aber auch andere gewaltaffine Gruppen (Hooligans, Heavy-Metal-Gruppen usw.) spielen hierbei eine wichtige Rolle. Auch Gewalttäter aus kriminellen Banden sowie Freizeit und Quartierscliquen. Insbesondere in Skinheadgruppen sammeln sich junge Menschen mit schulischen und familialen Problemen (broken home, familiale Gewalterfahrungen) und z.T. hoher Arbeitslosigkeit.

Die Ausdifferenzierung der Gesellschaften hatte die Bildung von Subkulturgruppen zufolge. Beginnend mit der studentischen Kultur des 18. Jahrhunderts, der Stürmer und Dränger, Revolte der Burschenschaften setzt sich die Linie über die Wandervogelbewegung der Jahrhundertwende sowie der Arbeiterjugend fort. Es folgen die "Halbstarken" der fünfziger Jahre, später die Rocker-, Hippi-, Skin-, Punk- und weitere Subgruppen.

Subkulturen verleihen dem einzelnen ein mehr an Identifikationsmöglichkeiten. Sie sind eher in der Lage spezifische Lebensprobleme und soziale Daseinsbedingungen besser zu berücksichtigen und schaffen höhere Verhaltenssicherheit.

Subkulturen sind auch Zeichen des Protests gegen die Gegebenheiten der Gesamtkultur. In ihnen vollzieht sich, bezogen auf die Gruppe junger Menschen, Identitätsbildung in Abgrenzung von der Erwachsenenwelt. Dies manifestiert sich auch in spezifischer Uniformität (Kleidung, Haartracht, Körperschmuck usw.), "Gefühlen", Sprache und Kultur (Musik), aber gegebenenfalls auch durch eine eigene Anschauung zu Aggression und Gewalt.

Subkulturen bieten auch den Raum, in dem sich individuelle Selbstinszenierung auf dem großen Markt der Möglichkeiten und Konkurrenzen realisieren läßt.

Die konkreten Selbstdarstellungen und Inszenierungen sind höchst unterschiedlich, teilweise beruhen sie auf Wertmustern der Stammkulturen (Hippikultur-Bildungsbürgertum, Rocker-Arbeiterklasse), teilweise auf spezifische Lebenslagen (Familie, Wohn-, Schul- und Arbeitssituation). Zum Teil sind sie auch auf dem massenmedialen Markt jugendlicher Individualitätsmuster frei gewählt.

Die Bildung jugendlicher Subkulturgruppen als Raum zur Identitätsbildung und Ausdruck sozialen Protests gilt natürlich auch für Migrantengruppen in unserer Gesellschaft. Eindrucksvoll wird in einer Veröffentlichung des Spiegel (" Ausländer und Deutsche: Gefährlich fremd. Das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft", Nr. 16/ 14.4.1997) auf den sich sammelnden sozialen Sprengstoff durch die gescheiterte Integration junger Türken und jugendlicher Aussiedlern aus den GUS Staaten verwiesen. Entlang der Heitmeyerschen These der Desintegration wird aufgezeigt, wie Subkulturangehörigkeit, die sich nicht im Prozeß des Älterwerdens, der Berufstätigkeit, Familien- oder Partnerschaftsgründung aufgelöst wird, verfestigt zu einer Getthoisierung ethnischer Gruppen. Hinwendung zu religiös-militanten Gruppen, bzw. Einbindung in die organisierte Kriminalität. All dies mit der Erwartung massiven sozialen Sprengstoffes.

 

Persönliche Anmerkungen

Ich meine, nun zum Ende kommend, eine Reihe von Stichpunkten genannt haben zu können, die zu weiteren Überlegungen im Rahmen dieses Kolloquiums einladen.

Wenn also Desintegration, Nichtteilhabe, Auflösungsprozesse, Individualisierungszwang, Abdrift in Subkultur, Kriminalität und Gewaltbereitschaft Begleiterscheinungen einer sich wandelnden Gesellschaft sind, entstehen Fragen nach Lösungen auch an die Bewährungshilfe.

Moderne Gesellschaften gleichen rasenden Intercitys in einer sich immer weiter ausdehnenden Landschaft. Scheinbar grenzenlos.

Vorbei die Zeiten der Bummelzüge, die noch manchem "Lahmen" ein Aufspringen ermöglichten.

Wenn wir Züge auch nicht bremsen können, so sollen wir uns doch um Zustiegsmöglichkeiten bemühen.

Wichtig scheint mir hierfür eine vielfältige methodische Arbeit mit unserem Klientel, zu der auch die Gruppenarbeit gehört.

Hindern daran sollen weder die scheinbaren Antagonismen von Betreuung und Kontrolle und auch nicht die formalen, an die Bewährungshilfe gerichteten Erfordernisse, deren Auswirkungen auf eine inhaltsreiche Arbeit weiter diskussionswürdig bleiben.

 

 

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Birgit Schrankel, Bewährungshelferin beim LG Limburg

 

Zum Beginn von Gruppensitzungen und Einführung in die Thematik bei fortlaufenden Veranstaltungen

Einleitung

Vorbereitung auf die Gruppenarbeit, Überlegungen zum Beginn von Gruppensitzungen, Beschäftigung mit dem Thema, Zielvorgaben und Strukturierung sind für mich wichtige Elemente in der Arbeit mit Gruppen.

Aufgrund der von mir gemachten Erfahrungen mit Probandengruppen seit November 1995 (1. Gruppe: 21 Gruppenabende mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, 2. Gruppe: 12 Veranstaltungen mit wöchentlichen Treffen, beide Gruppen leitete ich in Zusammenarbeit mit einem Kollegen; 3. Gruppe: offene Gruppe mit Mitgliedern die nach § 64 StGB untergebracht waren) entschied ich mich zum Abschlußkolloquium für o.g. Thema und entwarf folgendes Arbeitspapier:

1. Gruppenbeginn - eigene Eindrücke des Gruppenleiters

Psychosoziale Ebene

-          wie erlebe ich den Beginn von Gruppen, z.B. bei einer Fortbildung oder bei einer Besprechung

-          wann fühle ich mich wohl(?) bei einer Tasse Kaffee, nach einer Vorstellungsrunde

-          wer gehört zur Gruppe(?) wer ist entschuldigt(?) wer ist mir wichtig(?)

Sachebene

-          ging aus dem Einladungsschreiben hervor oder ist von der letzten Sitzung bekannt, um was es heute geht?

-          warum kommt die Gruppe zusammen?

-          ist mir eine Zielvorgabe wichtig oder das Wiedersehen mit "alten Bekannten?

 

Erwartungen des Gruppenleiters - Umgang mit Frustrationen - Vorbereitung -
Auswahl von verschiedenen Möglichkeiten

 

2. Übertragung auf die Probandengruppe

-          was brauchen Teilnehmer (TN), um wieder miteinander vertraut zu werden?

-          Raum lassen, um aktuelle Ereignisse mitzuteilen

-          neue Rollenbesetzung, wer sitzt neben wem?

-          wer fehlt und warum?

-          beim letzten Mal anknüpfen, Vertrautes erwähnen

-          Zeitplan, Ende

-          gemeinsames Thema finden

-          um was geht heute?

-          Zusammenhang zum Gesamtprozeß herstellen

 

 

 3. Befindlichkeit des Gruppenleiters gegenüber der Thematik

-          brauche ich ein Thema, ein Medium, einen roten Faden?

-          was will ich erreichen, um was geht es (Selbstfindung als Gruppenleiter)?

-          was macht es mir schwer, das Thema aus der Gruppe heraus sich entwickeln zu lassen?

-          was macht es mir schwer, auf daß einzugehen, was die Teilnehmer sagen oder aus dem Prozeß heraus ein Thema zu benennen?

-          Zieldefinierung; mit was sollte sich der Gruppenleiter auseinandersetzen?

-          welche Gruppenerfahrungen sollte die TN machen?

-          warum und wie erreiche ich das?

-          Themenumfang und Zeitvorgaben beachten

-          Eingehen auf das Thema aus der Gruppe

-          Begeisterung durch die eigene Person, Motivation durch Medium

-           "leite nur Themen, die Du selber formuliert hast"

4. Bedeutung des Themas für die Gruppe / Teilnehmer

-          wird es angenehm oder unbequem sein, sich damit auseinanderzusetzen, Umgang mit Widerständen

-          gibt es Scheu vor anderen TN von sich selbst zu berichten?

-          wie nah ist das Thema?

-          wie kreativ sind die TN mit Medium (z.B. Farbe, Video)?

-          welchen Bezug haben Probanden zum Thema

-          gibt es Erfahrungen aus dem Alltag dazu?

-          Umstände (Unterstellung) machen Auseinandersetzung mit dem Thema (z.B. Alkohol) erforderlich

-          Vertiefen von Themen, die TN benennen

-          Thema orientiert sich an sichtbar gewordener Rollenverteilung oder Machtanspruch, z.B. Co-Leiter

-          Aktivierung von unerledigten Themen aus dem Untergrund

-          Beteiligung des Leiters an der Themenbearbeitung

-          Unterbrechung des Themas durch Pausen

-          Widerstände und Störungen zum Thema machen

 

Nach der Veranstaltung:  Rückblickend die Einführung in die Thematik betrachten, mögliche Folgen für’s nächste Mal...

Literaturhinweis:     Langmaack u. Braune-Krickau, "Wie die Gruppe laufen lernt", Beltz-Verlag (ISBN 3-621-27172-4)

 

1. Gruppenbeginn - eigene Eindrücke des Gruppenleiters

Die Gesichtspunkte des Arbeitspapieres werden beleuchtet auf der Sachebene, d.h. den Inhalt betreffend und auf der psychosozialen Ebene, d.h. den emotionalen und sozialen Bereich betreffend.

Zunächst habe ich mich gefragt, was mir persönlich wichtig ist. Wie erlebe ich den Beginn von Gruppen, wann fühle ich mich wohl (ich habe gerne etwas zu trinken und eine Übersicht, wer zur Gruppe gehört, Namen und Institutionen, ich schaue nach vertrauten Gesichtern).

Der Einstieg ist für mich leichter, wenn ich weiß um was es geht, z.B. Erfahrungsaustausch, Erarbeitung eines Konzeptes.

Zur Vorbereitung auf die Gruppenarbeit für mich als Gruppenleiterin gehört noch eine Auswahl von verschiedenen Möglichkeiten des Einstiegs, der Methoden (Vorstellungsrunde, Partnerinterview, Aufwärmspiele, je nach Teilnehmerzahl Bildbetrachtung).

 

2. Übertragung auf die Probandengruppe

Meine Eindrücke übertragen auf die Probandengruppe heißt, ich ermögliche ihnen einen gemütlichen Beginn mit einer Tasse Kaffee oder Tee, es gibt etwas zu knabbern, möglicherweise brauchen die Probanden zuerst einmal eine Zigarette, um ihnen so das Ankommen zu erleichtern. Es erfolgt noch eine Klärung, wer zur Gruppe gehört und die Mitteilung wer entschuldigt ist.

Das Wohlbefinden auf der psychosozialen Ebene ist wichtig, um auf der Sachebene arbeiten zu können.

Auf der psychosozialen Ebene ist es von Bedeutung den Probanden Raum zu lassen, Zeit einzuplanen um aktuelle Ereignisse mitteilen zu können, die in der Zwischenzeit passiert sind (so erzählt ein Proband auf einem Video, daß er in der Zwischenzeit eine Anzeige wegen Ruhestörung kassiert hat). Manchmal können dies auch scheinbar belanglose Gespräche sein.

Auf der Sachebene heißt das:

Beim letzten Mal anknüpfen, eine Beziehung herstellen zu dem was gewesen ist, z.B. dies ist das 2. Gespräch mit einem Referenten und dazu sollen Fragen erarbeitet werden. Durch solch einen Einstieg können auch Erwartungen benannt werden.

 

3. Befindlichkeit des Gruppenleiters gegenüber der Thematik

Bei der Einführung in die Thematik, beleuchtet auf der psychosozialen Ebene, ist für mich die Klärung der Frage wichtig: Warum brauche ich ein Thema, ein Medium, einen roten Faden das sogenannte "Schlüsselchen". In der Vorbereitung kann ich mich damit beschäftigen und meine eigenen Beziehungen dazu beleuchten. Dies gibt mir die Sicherheit, erleichtert die Rollenfindung als Gruppenleiter. Der Einstieg über ein Medium zu Beginn kann zum Anschub des Gespräches dienen, kann neugierig machen auf das Thema und auflockern.

Zur Verdeutlichung stelle ich hier kurz ein Praxisbeispiel zum Thema "Eigene Gruppenerfahrungen bezogen auf Inhalte der Gruppenarbeit" dar.

Aus einer Auswahl von Bildern und Fotos sucht sich jeder Teilnehmer eines aus. Herr O. kann sich nicht entscheiden, deshalb erhält er ein Foto von Herrn B., von dem dieser meint, daß es zu Herrn O. paßt. Herr D. beginnt und erzählt: Das Bild erinnere ihn an Garten und Grillen, draußen arbeiten. Es stelle eine "Dorfidylle" dar. Dabei fällt ihm gute Nachbarschaft ein und nette Gespräche. Wir versuchen den Bezug zur Möglichkeit der Gestaltung der jetzigen Gruppe herzustellen.

Herr O., der ein Foto von einer Stereoanlage vor sich liegen hat, erzählt, daß Musik sein Hobby sei. Er höre gerne Popmusik und die anderen schlagen ihm vor, doch selbst einmal Gitarre zu spielen, was er aber verneint.

Herr Be. hat sich ein Bild mit einem Rennwagen ausgesucht, von dem Autorennen Paris-Dakar. Es erinnerte ihn an Abenteuer, an seine Grenzen kommen. Als er gefragt wurde, ob er Lust zu einer Klettertour hätte, verneint er dieses und berichtet satt dessen von dem Besuch einer Mühle bei Weilburg.

Herr K. hat sich ein Bild von einem Kanu ausgesucht, er möchte gerne damit mal die Lahn befahren. Er hatte auch schon überlegt, den Bootsführerschein zu machen.

Bei den anschließenden Überlegungen wird als gemeinsame Gruppenaktivität "Grillen" favorisiert, mit vorheriger Aktivität, wie z.B. wandern. Außerdem erwähnt die Gruppe, daß sie Freunde und Bekannte dazu einladen wollen.

Auf der Sachebene stellt sich die Frage: Was will ich mit der Gruppe erreichen? Welche Erfahrungen sollen gemacht werden? Das Medium, hier die Bilder, dient der Motivation.

4. Bedeutung des Themas für die Gruppe/Teilnehmer

Für die Probandengruppe ergibt sich die Fragestellung, wie kreativ die Teilnehmer mit dem Medium sind, was ihnen mehr liegt, z.B. Bildbetrachtung, Malen oder Video, schriftliche Auswertung.

Von Bedeutung ist es, einen Bezug zu den eigenen Erfahrungen herzustellen (z.B. welche Erlebnisse haben sie mit der Polizei gemacht).

Bei den Vorgaben durch ein Thema ist immer wieder zu beobachten, wie nahe den Teilnehmern das Thema gehen kann, z.B. bei der Auseinandersetzung mit der Straftat. Die eigenen Wünsche und Themen sind genügend zu berücksichtigen.

Die auf der Sachebene sichtbar gewordene Rollenverteilung (z.B. Wortführer) kann zum Thema werden oder Beziehungskonflikte. Interessant könnte auch sein zu hören, was die Teilnehmer in der Pause sprechen.

Nach Beendigung der Veranstaltung ist zur Reflexion zu fragen: Paßte der Einstieg, das Medium zur Thematik?

 

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Holger Rebscher, Bewährungshelfer beim LG Darmstadt Beratungsstelle Bensheim

 

Finden von Zielen für persönliche Veränderungen mit Probanden gruppen

Im Vorfeld meiner letzten Gruppenarbeitsmaßnahme war mir bewußt, daß ich einmal probieren wollte, zusammen mit Probanden Ziele für ihre persönliche Veränderung zu skizzieren. In meiner Gruppe befanden sich Probanden, mit denen ich schon teilweise über einige Jahre Erfahrungen in der Einzelarbeit hatte. Diese Probanden waren mit ihrer Lebenssituation äußerst unzufrieden - es gelang ihnen aber nicht, irgendwelche Veränderungen in die Wege zu leiten.

Viele der Probanden in der Gruppe litten unter erheblichen Drogenproblemen. In mehreren Sitzungen hatten wir versucht, die individuellen Ursachen der Drogenprobleme herauszuarbeiten und zu skizzieren. Ein weiterer Schwerpunkt der Gruppenarbeit war, eine Vorstellung über die persönliche und berufliche Zukunft zu entwickeln.

Über den Zeitraum von mehreren Monaten arbeiteten alle Probanden der Gruppe intensiv mit und waren sichtlich gewillt, an ihren Lebensumständen Veränderungen herbeizuführen. Trotz der Intensität der gemeinsamen Arbeit und der für mich immer wieder erstaunlichen Offenheit, mit der die Probanden ihre persönlichen Probleme thematisierten, gelang es keinem Gruppenmitglied, wesentliche Veränderungen seiner persönlichen Problemkonstellation in die Wege zu leiten.

Ich stelle mir also die Frage, wie es mir gelingen könnte, bei den Probanden aus dem Wunsch (d.h. einer eher utopischen Vorstellung) ein Wollen (d.h. eine reale Vorstellung) für die Veränderung der persönlichen Zukunftsperspektive zu erzielen.

Ausschlaggebend für meine Überlegungen war, daß die Schritte für eine persönliche Veränderung etwa wie folgt aussehen:

WÜNSCHEN < WOLLEN < PLANEN < HANDELN < VERÄNDERN

Es war uns in der bisherigen Gruppenarbeit nicht gelungen, die Stufe von Wünschen zum Wollen zu nehmen.

Da bei unseren Probanden erfahrungsgemäß die persönliche Motivation mehr durch Vorstellungen aus der Gegenwart als durch Vorstellungen aus der Zukunft erfolgt und es generell nur unzureichende Vorstellungen von persönlichen Zuständen in der Zukunft gibt, die mit Wohlbefinden verknüpft sind, wollte ich versuchen, gemeinsam mit meinen Probanden konkrete Ziele für ihre persönliche Veränderung in der Zukunft zu entwickeln.

Ich konzipierte ein 2-Tages-Seminar, in dessen Verlauf ich anhand bestimmter Fragen versuchen wollte, jeden einzelnen Probanden zur Entwicklung eines für ihn verlockenden Zielsatzes in Bezug auf seine persönliche Entwicklung zu motivieren.

Das 2-Tages-Seminar führte ich im Juni 1997 zusammen mit drei meiner Probanden an einem Baggersee bei Darmstadt durch. Der vierte Proband, der fest zur Gruppe gehörte, konnte aufgrund einer kurzfristig erlittenen Sportverletzung an der Veranstaltung nicht teilnehmen.

Ich begann, das 2-Tages-Seminar mit der Frage: Wozu kann ich mich gut motivieren (positive Motivation)? Und wie mache ich das? Anhand dieser Fragen konnten die Probanden gut erkennen, daß zu jeder Motivation im Hinblick auf eine Aktivität eine sinnlichere Repräsentation gehört: So motiviert man sich möglicherweise zu Sport, durch die Vorstellung des guten Körpergefühles, das man danach haben wird. Zu einer außerordentlichen Arbeitsleistung motiviert man sich möglicherweise auditiv, indem man durch eine innere Stimme das darauffolgende Lob des Chefs hört.

Durch die Vorstellung des Geruches oder des Geschmackes von einem guten Essen motiviert man sich möglicherweise, in die Küche zu gehen und mit dem Kochen zu beginnen. Durch die visuelle Vorstellung eines aufgeräumten, sauberen Schreibtisches erlangt man möglicherweise Motivation, längst überfällige Büroarbeiten in Angriff zu nehmen.

Wichtig war, daß ich den Probanden anhand dieser Übungen verdeutlichen konnte, daß eine positive, verheißungsvolle, sinnliche Repräsentation in der Zukunft ausschlaggebend ist für eine ausreichende Motivation.

Dann erarbeiten wir anhand verschiedener Fragen die Hauptproblemstellung der Probanden zur Zeit.

Nachdem jeder Proband relativ konkret seine persönliche Problemstellung benannt hatte, führte ich die Probanden mit Hilfe verschiedener Fragen dazu, sich vorzustellen, wie sie sich selbst bzw. wie ihr direktes Umfeld sie nach der Lösung ihrer Hauptprobleme erleben wollen würde. Hierdurch gelang es jedem Probanden, eine konkretere Vorstellung zu entwickeln, wie er sich zukünftig gerne selber sehen würde, bzw. wie er von seinem Umfeld gerne wahrgenommen werden würde. Aus diesem Material, entwickelte ich zusammen mit den Probanden persönliche Zielsätze.

Für die Zielsätze gab ich folgende Kriterien vor:

-          Der Zielsatz sollte positiv formuliert sein (damit es sich lohnt, auf etwas zuzugehen)

-          Der Zielsatz sollte eigenverantwortlich erreichbar und in der Gegenwart formuliert sein (um klarzumachen, daß man hier und heute damit beginnt, ihn umzusetzen)

-          Der Zielsatz sollte in der Ich-Form formuliert sein (um die Eigenverantwortlichkeit nochmals zu unterstreichen)

 

Die Zielsätze der Probanden waren:

1. "Ich bin selbstbewußt und akzeptiert meine Gefühle und Gedanken."

2. "Ich stürze mich uneingeschränkt auf meine Ziele."

3. "Ich habe Selbstvertrauen und Unabhängigkeit in mir."

Diese Zielsätze präsentierten die Probanden angefeuert von den anderen Teilnehmern der Gruppe vor laufender Videokamera.

Danach machten wir uns daran, die Ökologie der persönlichen Ziele zu überprüfen. Ich machte den Probanden klar, daß jede Veränderung weitreichende Konsequenzen - auch für andere aus dem Umfeld - hat. Wenn man in seinem Leben eine persönliche Veränderung erzielen will, muß man sich dieser Konsequenzen bewußt sein und für sich im voraus klarhaben, das man diese Veränderungen uneingeschränkt akzeptiert. Ich stellte den Probanden also die Frage, wie verändert sich mein Leben, wenn ich mein Ziel erreicht habe? Wie sieht es aus, wenn ich es durch die Augen der davon Mitbetroffenen sehe? Was ist der Preis? Was bekomme ich und auf was verzichte ich?

Danach setzte ich mich mit den Probanden zusammen, mit dem Nutzen des alten Zustandes bzw. Verhaltens, auseinander. Wir bearbeiten die Frage, welchen Nutzen hat das bisherige Verhalten? Und ist der Nutzen im neuen Ziel erhalten, oder bin ich bereit, ihn für dieses aufzugeben? Ich versuchte, den Probanden klarzumachen, daß die Tatsache, daß ein bestimmtes Verhaltensschema sich über längere Zeit bei ihnen gehalten hat, durchaus aus meiner Sicht ein Beleg dafür ist, daß es für diese Verhaltensschemata einen - möglicherweise nicht offensichtlich sichtbaren - positiven Aspekt gibt. Danach setzten wir uns mit der Frage der Bedingung, die zur Erreichung des Zieles gesetzt war, auseinander. Hier stelle ich den Probanden folgende Fragen:

Was hindert mich, das Gewünschte zu erreichen?

Welche Überzeugung brauche ich, um es zu bekommen?

Welche Schritte will ich tun - wie sieht der erste aus?

Welche Verhaltensweisen muß ich ablegen - verändern - erwerben?

Die Probanden setzten sich mit diesen Fragen äußerst intensiv auseinander, und es gelang jedem Einzelnen, sehr konkrete Vorstellungen über die Bedingungen und Hindernisse seiner persönlichen Veränderungsarbeit zu entwickeln.

Danach erinnerte ich die Probanden noch einmal an den Auftakt unseres Seminares und bat sie, jeden für sich eine sinnliche Repräsentation für das Erreichen ihres persönlichen Zieles zu entwickeln. Ich stellte ihnen die Frage, woran sie - in ihren Sinnen - erfahren würden, daß sie ihr persönliches Ziel erreicht hätten. Die Probanden schilderten hier sehr anschaulich die in ihrer Vorstellung entwickelten sinnlichen Erfahrungen für das Erreichen ihrer persönlichen Ziele.

Zum Abschluß sprach ich den Probanden eine Phantasiereise, in der ich sie zurückführte zu Erfahrungen aus ihrer Kindheit, in denen sie ihre persönliche Kraft wirklich erlebt und eingesetzt hatten, und wo sie Vertrauen zu sich selbst und in die eigene Stärke hatten. Diese Phantasiereise führte dann von der Vergangenheit in die Zukunft, und ich integrierte die Zielsätze der Probanden und die jeweilige sinnliche Erfahrung für das Erreichen des persönlichen Zieles.

Das 2-Tages-Seminar am Baggersee war für mich eine äußerst wichtige und intensive Erfahrung.

Nach langem hin und her hatte ich mich entschlossen, mit meinen Probanden einmal ganz intensiv-methodisch zu arbeiten. Auch die Tatsache, daß ich mich entschloß die Arbeitsergebnisse durch das Sprechen einer Phantasiereise zu integrieren, war für mich das Betreten von Neuland.

Ich hätte in der Vorbereitungszeit nie gedacht, daß die Probanden so intensiv neugierig und motiviert mitarbeiten würden. Die Bereitschaft, die eigene Situation differenzierter zu betrachten und eine Orientierung für Veränderungsmöglichkeiten zu finden, war bei jedem einzelnen Probanden dermaßen ausgeprägt, daß für mich diese zwei Tage eindeutig das intensivste Erlebnis meiner bisherigen Arbeit als Bewährungshelfer darstellen.

Alle Probanden, die an diesem Seminar teilgenommen haben, haben danach Schritte - in Bezug auf ihre persönlichen Veränderungsinteressen in die Wege geleitet. Hierbei kam es selbstverständlich auch zu Rückschlägen. Es ist aber aus meiner Sicht klar, daß jeder, der die zwei Tage mitgemacht hat, ein gutes Stück persönliche Stagnation bzw. persönliches Phlegma über Bord werfen konnte.

Wenn es gelingen kann, zusammen mit Probanden authentische, realistische persönliche Zielvorstellungen zu entwickeln, kann dieses ein wesentlicher Schritt in Bezug auf eine persönliche Veränderungsarbeit sein.

Einer der Teilnehmer hat am Baggersee den endgültigen Entschluß gefaßt, eine Langzeittherapiemaßnahme durchzuführen. Ein weiterer Teilnehmer hat für sich geklärt, in welches Arbeitsfeld er gehen möchte und hat mittlerweile in diesem Bereich eine Lehre begonnen. Ein dritter Teilnehmer hat für sich selbst geklärt, daß er das massiv ihn einschränkende häusliche Umfeld verlassen muß, um seine persönlichen Stärken zu entfalten.

All diese Ziele sind nicht von heute auf morgen zu erreichen, und es ist natürlich, daß sich hier vielfältige materielle Hindernisse auftun. Diese Hindernisse können aber zu einem Großteil überwunden werden, wenn eine klare Vorstellung über die gewünschte Zukunft und eine damit verbundene ausreichende Motivation besteht.

 

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Markus Weinandt, Bewährungshelfer beim Landgericht Gießen

 

Acht Thesen für erlebnispädagogische Arbeit mit Probanden

Die nachfolgenden acht Thesen für erlebnispädagogische Arbeit stammen von Stephan Quensel und sind in "Erlebnispädagogik mit Randgruppen" von Nicolai, Quensel, Rieder nachzulesen.

 

1.      Entwickle die positiven Seiten und Fähigkeiten, setze den Probanden in dem Bereich ein, wo er schon etwas kann, weiß und anbietet,

- und versuche nicht dauernd, seine schlechten Seiten zu kurieren

 

Oftmals werden in Berichten, Gutachten, Stellungnahmen die negativen Eigenschaften und Vorkommnisse aufgezeigt (Darstellung von Straftaten in Anklagen und Urteilen). Durch diese Suche nach Schwierigkeiten werden diese betont und in den Vordergrund geschoben (Stigmatisierungs- und Labelingtheorie).

Viele Probanden haben positive Seiten, die sie oft nicht kennen oder nicht zeigen (sportlich - handwerkliche - musische Fähigkeiten, Organisationstalent) oder mit denen sie falsch umgehen, was sich in Straftaten ausdrückt.

Durch einen vom sportlichen Erlebnis- oder vom Abenteuerkurs ausgehenden pädagogischen Ansatz, der die Probanden aus der üblichen Erfahrungswelt herausnimmt und in praktischen Fähigkeiten ansetzt, können schrittweise Erfolge und Anerkennung vermittelt werden, um später auch kritisch an die Probleme und Schwierigkeiten heranzugehen, die selbst dann noch übrig bleiben.

 

 

2.      Arbeite im praktischen Bereich mit ihm, in Aktivitäten, die ihm vertraut sind,

- und rede nicht dauernd

 

Unser Klientel kommt meist aus sozial benachteiligten Schichten und hat oft unliebsame Erlebnisse mit der Justiz hinter sich. Im Laufe ihrer Karriere werden sie dauernd vernommen, kontrolliert, interviewt, Anamnesen werden aufgenommen, Gutachten erstellt, Anklagen und Urteile verlesen.

Kein Wunder, daß sie nicht mehr reden wollen, sondern eher Bewegungsdrang haben, Lust zum Laufen, um ihren Körper auszuprobieren. Oft sind sie auch z.B. handwerklich geschickter als wir und können "besser als wir" ein Auto knacken, Automaten erleichtern, aber auch schnitzen, malen, brutzeln, Mopeds auseinandernehmen.

Man spricht davon, daß die verbale Intelligenz gegenüber der praktischen Intelligenz häufig unterentwickelt ist, weshalb man im praktischen Bereich ansetzen sollte, um von hieraus langsam voranzugehen.

 

3.      Normalisiere die Beziehung des Probanden zu seiner Umwelt und zu dir als Sozialpädagoge,

-           anstatt ihn mit Gleichgestörten zusammenzuzwingen und dich selbst als unfehlbar darzustellen.

 

Soziale Beziehungen zur Umwelt (Familie, Schule, Arbeitsstelle usw.) sind gestört, d.h. dadurch gekennzeichnet, daß er dort als Versager, Dieb und kriminell bezeichnet wird und sich häufig so benimmt wie es erwartet wird.

Diese Störung gilt besonders für das Verhältnis zu Erwachsenen (Eltern, Lehrern, Polizisten, Richtern, Bewährungshelfern), die sich ungeheuer gut vorkommen, sein Bestes wollen, ihn aber doch bestrafen müssen.

Der erwachsene Pädagoge darf nicht zu sehr kumpeln, denn er steht trotz allem auf einer anderen Ebene. Er muß etwas anbieten können, soll auch mal Fehler machen, mal unterlegen sein und soll vom Probanden auch etwas annehmen können: Eine Niederlage oder ein Geschenk.

Erlebnispädagogik bietet diese Möglichkeit, z.B. in der gemeinsamen Erschöpfung beim Wandern/Klettern/Paddeln usw. Beim geselligen Zusammensein kann man Niederlagen rasch vergessen und Siege feiern.

 

4.      Betone die Gruppenbeziehung der Probanden untereinander, ihre Kontakte zu Gleichaltrigen, ihre Rollen im alltäglichen Miteinander,

- anstatt dauernd in ihrer individuellen Kindheit oder Psyche herumzuwühlen.

 

Probanden leben und bewegen sich in ihrer Gruppe, beziehen dort Wertschätzung und Akzeptanz und definieren sich selbst von dieser Gruppe aus.

Diese Gruppenbezogenheit gilt selbst für ihre Straftaten.

Gruppe prägt von klein auf und eine Pädagogik, die gegen Gruppenbeziehungen arbeitet, ist vom Beginn an zum Scheitern verurteilt.

Jeder Mensch erlebt mehr oder weniger starke Sozialisationsstörungen. Durch negativ erlebte und verarbeitete Sozialbeziehungen werden die Störungen verstärkt und lassen Probanden immer wieder auf eingeschliffene Verhaltensmuster hereinfallen, z.B. wenn er denkt, daß er wieder ausgetrickst wird oder versucht wird, ihn zu manipulieren.

Erlebnispädagogische Aktivitäten verstärken das Gruppenbewußtsein und schaffen ein "Wir-Gefühl".

5.      Unterstreiche den Stellenwert von Freizeit, Spaß und Freude am Spiel,

- anstatt immer nur von Arbeit, Ordnung und Pflichtbewußtsein auszugehen

 

Die freie Zeit, das Hobby, das Do-it-yourself gewinnt immer deutlicher an Wert. Die Deutschen geben Jahr für Jahr sehr viel Geld für Urlaub aus. Beruflich zeichnet sich die Gesellschaft durch eine immer höhere Qualifikation aus.

Probanden können in beiden Bereichen schlecht mithalten, wissen in Freizeit oder Arbeitslosigkeit nichts anzufangen, wissen nicht wie man mit wenig Geld Urlaub macht.

Delikte aus Langeweile sind Beleg und Konsequenz aus dieser Situation. Erlebnispädagogik kann Defizite abbauen und zeigen, daß es sich lohnt für Freizeitaktionen etwas zu tun und kann gleichzeitig zeigen, wie man das macht, auch wie man mit Sozialmitteln etwas anfangen kann, um diese freie Zeit zu nutzen.

 

6.      Biete dem Probanden die Möglichkeit, Erfolge zu sammeln, um hierauf aufzubauen, sowie offen mit seinen Schwierigkeiten umgehen zu können,

- anstatt dauernd nach "seinen Problemen" zu fragen

 

Charakteristisch für Probanden ist, daß sie bislang immer Mißerfolge gesammelt haben. Den einzigen Erfolg/Bestätigung fanden sie im abweichenden Verhalten.

Aus Mißerfolgen resultiert fehlendes Selbstvertrauen also Mißtrauen gegen sich selbst, das auch zukünftig weitere Mißerfolge erwarten läßt.

Mit Mißerfolgen kann man sich arrangieren, kleine Erfolge wirken oft so beängstigend, daß man möglichst schnell wieder aufgibt, um sich bloß nicht aus dem bekannten Zustand zu entfernen.

Lernen beruht darauf, in kleinen Stufen Fortschritte (Erfolge) zu machen. Anfangs durch Dritte ermutigt, um später auf den ersten eigenen Erfahrungen aufbauen zu können.

In der erlebnispädagogischen Arbeit finden sich in allen Bereichen Möglichkeiten, Erfolge zu sammeln. Hier kann man auch lernen Vertrauen zu finden oder einzustecken und Niederlagen auszuhalten.

Eine therapeutische Aussprache ergibt sich meist von selbst.

 

7.      Vermittle ihm die Gelegenheit, praktisch zu planen, zu organisieren, Regeln zu setzen, wie zu akzeptieren sowie Verantwortung zu übernehmen,

- anstatt ihn nur als Objekt zu verwalten

 

Probanden werden verwaltet, einem Regel- und Behördenapparat ausgesetzt, den sie kaum durchschauen, der sie mit der für sie unverständlichen Behördensprache anredet und uneinsehbare Entscheidungen trifft.

Sie haben nie die Möglichkeit gehabt, außer im abweichenden Verhalten, längerfristig eine Sache zu planen. Sie werden von der einen zur anderen Stelle geschoben, Geld wird von der sozialen Verwaltung eingeteilt, sie können nicht damit umgehen.

Vermutlich haben sie nie gelernt, außerhalb der Clique Regeln zu setzen oder Verantwortung zu tragen.

Planung zahlt sich nur aus, wenn was dabei herauskommt. Verantwortung nur, wenn der andere nicht sowieso den Mißerfolg erwartet.

Probanden sollten unbedingt in Planungen aktiv mit einbezogen werden, sollten organisieren und Grundregeln diskutieren. Während der Aktivität erfährt dann jeder was es heißt, sich aufeinander verlassen zu können, Verantwortung zu übernehmen und warum bestimmte Regeln sinnvoll waren.

8.      Arbeite mit allen Probanden, vor allem auch mit den Schwächeren und den weniger Begabten, die immer vergessen werden,

- anstatt immer nur auf dieselben "Stars" hereinzufallen.

Wir alle arbeiten lieber mit den Probanden, die uns antworten, auf unsere Vorschläge eingehen, bei denen wir rasche Erfolge sehen, die uns sympathisch sind und mit denen es Spaß macht, zusammen zu sein.

Diese Einstellung entspricht in bestimmter Weise den Bedürfnissen der "Vergessenen", die nach schlechten Erfahrungen mit wohlwollenden Kollegen von uns endlich in Ruhe gelassen werden wollen.

Kaum einer dieser Probanden hat sich restlos aufgegeben, solange er sich nicht mit oder ohne Alkohol/Drogen langsam oder schneller selbst umbringt. Sie leiden unter ihren Defiziten und wollen wie wir anerkannt sein und Erfolge haben.

Grundsätzlich sind alle Probanden zugänglich, wir müssen nur den richtigen Schlüssel finden.

Erlebnispädagogik bietet die Möglichkeiten, intensivere Kontakte auch zu Probanden aufzunehmen, die sich nicht unterhalten wollen. Z.B. bei Ausflügen in Wäldern, Gebirgen, auf Flüssen und Seen bei denen oft die Stillen gesprächig werden, vielleicht, weil sie hier in ihrer Natur sind.

 

Erlebnispädagogik mit ihren Möglichkeiten, das zeigen die acht Thesen auf, kann eine Methode der sozialpädagogischen Resozialisierungsarbeit mit unseren Probanden sein.

Sie bietet die Chance für beide Seiten, Bewährungshelfer und Proband, die Beziehung zur jeweils anderen Seite auf einer anderen Ebene zu entdecken.

Für uns mit dem Effekt, auch an bisher unzugängliche Probanden heranzukommen und dadurch evtl. Nachdenken über - und ändern bisheriger - Verhaltensweisen anzustoßen.

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Richard Lulay, Bewährungshelfer beim LG Darmstadt, Beratungsstelle Bensheim

 

Erlebnispädagogik in der Praxis:

5 Tage auf dem mittelfränkischen Camino

 

0. Einführung

Zusammen mit meinen Kollegen, Peter Reckling, habe ich mit fünf Probanden vom 30.04. bis zum 04.05.1997 eine Wanderung auf dem mittelfränkischen Jakobsweg (Camino) von Oberweihersbruch bei Nürnberg bis nach Rothenburg ob der Tauber durchgeführt. Ca. 80 Kilometer in Tagesetappen zwischen 19 und 28 km. Übernachtet haben wir in einem Gemeindezentrum, in einer Diakoniestation, einem alten Pfarrhaus, im Heuhotel. Wir haben uns selbst verpflegt und uns zum Ziel gesetzt, mit einem Betrag von DM 40,- pro Teilnehmer auszukommen.

Die Auswahl der Probanden war nicht gezielt, zwei der fünf hatten eine Drogentherapie durchgeführt, einer wurde mit Polamidon substituiert.

Im folgenden möchte ich Elemente, die mir bei dieser Wanderung deutlich geworden sind, benennen.

 

1.0 Die Idee:

Unsere Wanderung und auch der markierte Wanderweg knüpft an die Zeit der großen Pilgerzüge nach Santiago de Compostella in Nordwestspanien an. Entlang unserer Wanderstrecke stießen wir immer wieder auf Jakobskirchen, und wir folgten der Markierung, einer weißen Muschel auf blauen Grund. Obwohl von unserer Seite keine Vorgaben im religiösen Sinne gemacht wurden, hat der Gedanke einer Pilgerfahrt; an Menschen, die vor uns diesen Weg gegangen sind, alle fasziniert und in Bewegung gehalten.

Mein Fazit: Für solch eine Wanderung braucht man eine Idee.

 

2.0. Das Wandern:

Es war allen klar, daß wir täglich zwischen 19 und 27 Kilometer (Irrwege nicht eingerechnet) zurücklegen werden, und es war sehr bedeutsam, was sich während dieser 5-, 6-, und 7-stündigen Zeit ergab.

2.1. natürlich die Gespräche untereinander über Erfahrungen und Pläne; bei jedem Teilnehmer habe ich Fähigkeiten entdeckt, die mir sonst verborgen geblieben wären, d.h. Kenntnisse über Geschichte, einer, der einen Blick für die Markierung hatte, jemand, der selbst aus Disteln etwas Eßbares machen konnte; jeder hatte seine besonderen Stärken.

2.2. Die Markierungen waren teilweise schwer zu finden, wir mußten aufmerksam sein, uns konzentrieren, ansonsten hatten wir uns verlaufen. Unsere Hilfsmittel waren die Wanderkarte, Kopien davon für jeden, und trotzdem mußten wir, in Zweifelsfällen, den "Wanderführer" hinzuziehen.

2.3. Beeindruckt hat die Landschaft, die Natur die gelb blühenden Wiesen mit Löwenzahn, seltsame Bäume, Bäche, kaum Menschen. Nach der Ankunft zu Hause hat mir der alltägliche Lärm Kopfschmerzen bereitet, in Franken war es ruhiger, hier waren wir auf uns bezogen.

2.4. Das Gehen

"Bei normalem Gehen erwandern wir die Welt mit einer Geschwindigkeit von bis zu 4,8 km in der Stunde, und unser Körper ist für Aktion und Bewegung geschaffen.

Aufgrund der rhythmischen Bewegung der Muskeln werden seelische und körperliche Angespanntheit gelöst und beseitigt. Der Körper gelangt wieder in seinen Gleichgewichtszustand. Eine perfekte Entspannungsmethode, mit der sich Spannung abbauen als auch vermeiden läßt. Im Freien, auf der Straße, finden Geist und Körper ihr eigenes Zeitgefühl, sie unterliegen nicht länger dem Rhythmus, den ihnen die Umstände aufzwingen.

Der Wanderer beginnt loszulassen, sich wirklich zu entkrampfen und mit allem mitzufließen." (Snowdon, München 1996)

 

3.0 Das Ungewisse:

Zwar hatte ich bereits von zu Hause Kontakt aufgenommen und angefragt, ob Übernachtungsmöglichkeit besteht. Was uns dann erwartete, das blieb ungewiß, kaltes oder warmes Wasser, der Luxus einer Dusche, ein Herd zum Kochen, Gastfreundschaft und Ängste. Einmal wußten wir nicht wohin, wir durften ein uraltes Pfarrhaus belegen, ohne Wasser, wir improvisierten und es war eines unserer schönsten Erlebnisse.

 

4.0 Das Kochen

Wir hatten in unserem Begleitfahrzeug einen 2-flammigen Gaskocher und verpflegten uns selbst. K. war unser Spitzenkoch, I. hatte absolut keine Lust zum Abspülen, wir haben uns alle arrangiert und wir lebten einfach.

 

5.0 Der Morgen

Auch wenn unsere Glieder noch so sehr schmerzten, zwischen 7.30Uhr und 8 Uhr sind wir aufgestanden, um 9.00 Uhr, spätestens 9.30 Uhr waren wir auf dem Weg. Das war so, daran hielt sich jeder, obwohl der größte Teil der Gruppenmitglieder ohne Arbeit war, zu Hause seine Zeit einteilen konnte (Strukturierung).

 

6.0. An Grenzen stoßen

Die Grenzen waren zumeist körperlicher Art, Schmerzen in den Beinen, den Füßen, die ein Weitergehen nicht möglich machten, zwei mußten einen Arzt aufsuchen. Erfahrungen der Grenzen aber auch, daß es in den kleinen Dörfern keinen Arzt gibt. An Grenzen stoßen, weil der Körper nicht trainiert ist, der Rucksack drückt, eine mörderische Hitze herrscht, der Weg endlos erscheint und erfahren, daß ich es in der Gruppe schaffen kann.

 

7.0 Die Reflexion

7.1. Von K. kam der Vorschlag, Tagebuch zu schreiben. Jeder übernimmt einen Tag und schreibt das ihm Bedeutsame, Wichtige auf. "Muß das sein", waren die ersten Reaktionen, bei der Heimfahrt im Bus schrieben auch die letzten beiden ihre Erlebnisse nieder. Am Abend wurden die Berichte vorgelesen und besprochen. Es entstand ein detailliertes Reisetagebuch, das jeder erhielt.

7.2. Eines Nachmittags kam die Idee einer Beurteilung, Selbst- und Fremdeinschätzung in den Bereichen Lächeln, Kochen, Abwaschen, Initiative zeigen, Kulturelles und Hinweise geben, Ansprüche und Solidarität.

 

8.0. Die Konflikte

Die Gruppe hat, obwohl die Teilnehmer sich größtenteils nicht kannten, von Anfang an gut harmoniert. Es gab nur wenige Konflikte, sicher hätte sich das bei Fortdauer unserer Wanderung, schlechtem Wetter etc. verändert.

Im Gasthaus, alle hielten sich an die Regel, kein Alkohol, bis auf einen, der sich einen Radler bestellte und damit eine Auseinandersetzung über Abhängigkeit verursachte, intensiv und laut. Damit hatte ich meine Probleme, in dieser Umgebung damit umzugehen.

 

 

9.0. Der Andere

9.1. Für mich als Mitgruppenleiter wurde bereits am ersten Tag klar, daß ich ganz zu der Gruppe gehöre und auch solidarisch mit dieser Gruppe bin; auch nach außen.

9.2. Dazu gehören eigene Verhaltensweisen, beispielsweise die Ärmel über die tätowierten Arme ziehen, was die anderen wohl von mir "denken", das Angestarrtwerden in den Kneipen, sieben Leute, die nur (?) antialkoholische Getränke trinken und das in Franken, aber auch Ängste von Nachbarn, denen wir nicht geheuer waren; wie ganz starkes Vertrauen unserer Gastgeber, die uns die Räume, Schlüssel, Lebensmittel usw. vertrauensvoll überließen.

 

10.0 Der Gruppenleiter und die Gruppe:

10.1. Für mich selbst war bedeutsam, das Einstimmen auf diese Wanderung, nicht aus der Hektik in dieses Unternehmen hineingehen, sondern mir Zeit nehmen.

Das Gleiche gilt für das Ausklingen, daß ich, nachdem ich mich eingelassen habe auf das Gegenüber, gefordert und in Frage gestellt war, meinen eigenen Raum brauche: um Zeit und Ruhe für mich zu haben.

10.2. Wichtig waren meine Vorüberlegung zu meinen Zielen - den Zielen meiner Probanden - den übergeordneten Zielen.

10.3 In der Erlebnispädagogik, so meine Erfahrung, ergibt sich vieles unvorhergesehen aus der Situation; das macht es aber auch oft schwierig. Man muß aus dem Stand heraus reagieren, es gibt Gegebenheiten, wo es schwierig ist, beispielsweise einen Konflikt in der Kneipe auszutragen oder zu lösen. A. Reinders schreibt in "Erlebnis und Pädagogik": "Sichtbare, manifeste Problemstellung provozieren Planung, Entscheidungen und Klärungen und können ... meist der Selbststeuerung der Gruppe überlassen werden. Bei latenten, implizierten Problemlagen, wie z.B. verschwiegenen und unbewußten Ängsten und Spannungen, liegt es in der Verantwortung des Betreuers durch gezielte Interventionen darauf zu reagieren, Situationen umzugestalten oder u.U. neu zu arrangieren. Auch wenn sich Untergruppen oder die Gesamtgruppe nicht mehr an die vereinbarten Rahmen halten, wenn sich Gruppenmitglieder durch Risikoverhalten selbst gefährden, wenn Naturzerstörung droht etc., kann der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Gruppe eingeschränkt werden. Grundsätzlich aber findet die Selbststeuerung der Gruppe dort ihre Grenzen, wo es den Teilnehmern unmöglich ist, alle relevanten Aspekte zu überschauen oder die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen, die Entscheidungen treffen zu können."

10.4. Rollendistanz:

Der Gruppenleiter kann Erfahrungsprozesse jedoch nur professionell und effektiv begleiten, wenn er genügend Distanz zum gruppendynamischen Geschehen und zu den Aktivitäten behält. Hier liegt meines Erachtens ein bedeutendes Problem, durch meine Teilnahme bin ich körperlich sehr stark gefordert, ich bin mitten im Geschehen und muß mir meiner Rolle bewußt sein!

 

11.0 Transfer:

"Als Transfer wird das Fortschreiten des Lernenden vom Konkreten zum Abstrakten verstanden, indem er neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-) Situation entdeckt, diese Lernerfahrung generalisiert und auf andere (Alltags-) Situationen überträgt." S. 77, Reinders

Kritik an erlebnispädagogischen Maßnahmen richten sich auf das Problem der unangemessenen Berücksichtigung der Alltagsrealität während der Maßnahme, auf die zeitliche und räumliche Entfernung von der konflikterzeugenden Lebenswelt der Teilnehmer, die geringe prägende Kraft aufgrund der kurzen Kursdauer, die fehlende Nachbetreuung und Hilfestellung nach Beendigung des Kurses. Schließlich sei die Motivation zum Transfer aufgrund eines entstehenden Freizeitgefühles gefährdet.

Über diese Kritikpunkte machen sich die Fachleute Gedanken. Das "Out-Ward-Bound-Plusmodell" versucht, einen Transfer der Kurserfahrung in den Alltag durch kognitive Verarbeitung zu erreichen, d.h. Aktion und Reflexion! Mit Hilfe meist verbaler Reflexion wird ein Bezug zwischen Erlebnis und Alltag der jeweiligen Zielgruppe hergestellt. Problembereiche der Teilnehmer können direkt und im Vergleich von Kurserfahrung und Lebensrealität angesprochen werden.

Das Problem hier, das eigentlich gewollte Lernen in der Aktion und Erfahrung verschiebt sich zu einem Lernen in der Reflexion.

Das metaphorische Modell. Bei diesem Modell liegt der Akzent wieder auf der pädagogischen begleiteten, erlebnisreichen Situation/Aktion. Diese wird jedoch nicht nur einfach angeboten, sondern möglichst ähnlich zur Lebensrealität ausgestaltet.

Praxisbeispiel: Eine 4 Meter hohe Holzwand muß von der Gesamtgruppe ohne andere Hilfsmittel überwunden werden. Wer über die Wand geklettert ist, kann nur von oben helfen, darf aber nicht mehr zur ursprünglichen Seite zurückkehren. Durch die Einführung in die Aufgabe durch den Betreuer, (...), verwandelt sich die Holzwand, die überwunden werden muß, in eine Lernerfahrung, bei der Führungsstile getestet, untersucht und aufgedeckt werden können.

Ein weiteres Modell nach Stephan Bacon. Bacon ist der Auffassung, daß gelernt wird, indem man Beziehung zwischen früheren und gegenwärtigen Erfahrungen herstellt, um seinen Realitätssinn zu bekräftigen oder zu verändern. Er geht davon aus, daß sich ein Teilnehmer während eines Kurses, im Idealfall in zwei Realitäten gleichzeitig: nämlich in der aktuellen Kursrealität, zum anderen -psychologisch gesehen- in der ähnlichen Alltagssituation befindet. Es wird angestrebt eine möglichst große Strukturgleichheit zwischen Alltag und Kurs herzustellen, so daß der Teilnehmer unbewußt einen Vergleich zwischen Verhalten im Alltag und im Kurs gelernten Verhaltensalternativen zieht und sein Verhaltensrepertoire erweitert.

Weitere Transfer-Möglichkeiten sind: Arbeiten mit Metaphern (Gebrauch von Anekdoten und Erzählungen und Archetypen [Urform, Urbild, Muster]).

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Sigrid Engelhard, Bewährungshelferin beim LG Kassel, Beratungsstelle Korbach

 

"Darstellung erlebnispädagogischer Maßnahmen in der Presse unter Berücksichtigung meiner eigenen Erfahrungen"

 

1. Bezug des Themas zum Lehrgang:

- Erlebnispädagogik wird in der Öffentlichkeit z.Zt. heiß diskutiert

- dieses spiegelt sich auch in den diesbezüglichen Presseartikeln wieder

 

2. Exemplarisches Vorstellen von zwei Artikeln

-          "Hautnah Teamwork erlebt"
Lehrer-Seilschaft übte Kooperation
(Bergsträßer-Anzeiger vom 25.07.1997)

-          "59.000,00 DM für einen einzigen Jugendlichen"
Landtagsabgeordneter von Hunnius kritisiert allzu weite "erlebnispädagogische
Reisen"
(Odenwälder Zeitung vom 21.02.1997)

 

 

3. Diskussion der Frage:

Wer und was soll mit diesen Artikeln angesprochen und erreicht werden?

1. Artikel:

- Darstellen der Kreativität und Aktivität

- Aufpolieren des Lehrerimages

- von Geld ist keine Rede

 

2. Artikel:

- Anbiedern an den Leser; nach dem Maul schreiben

- Sozialneid (siehe Leserbriefe, Mißgunst, Empörung)

- in Zeiten leerer Kassen wird alles verstärkt unter finanziellem Gesichtspunkt gesehen

 

Meine Stellungnahme dazu:

Es gibt Mißbrauch, aber man kann das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

 

4. Chancen und Möglichkeiten von erlebnispädagogischen Maßnahmen:

- Warum leisten sich Firmen Erlebnispädagogik für Mitarbeiter und Manager

- meine persönliche erlebnispädagogische Erfahrung und ihre Bedeutung für mich

- erlebnispädagogische Erfahrung in meiner Arbeit als Bewährungshelferin

zu 1.

In unserem Lehrgang "Erlebnisorientierte Gruppenarbeit in der Straffälligenhilfe zur Betreuung gewaltbereiter und rechtsradikaler Jugendlicher" haben wir uns mit einer Form pädagogischer Arbeit beschäftigt, die z.Zt. in der Kollegenschaft, aber auch in der Öffentlichkeit, sehr kontrovers diskutiert wird.

Erlebnispädagogik wird mit Abenteuerurlaub verwechselt, Sozialarbeitern und Erziehern wird unterstellt, sich die eigenen privaten Hobbys durch Mitnahme von Klienten finanzieren zu lassen.

Diese Diskussion wird auch von der Presse aufgegriffen und spiegelt sich in den diesbezüglichen Artikeln wieder.

Bei meiner Durchsicht von Zeitungen und Zeitschriften war auffällig, daß der überwiegende Teil in einer negativen Weise erlebnispädagogische Maßnahmen darstellt; positive Berichte waren die Ausnahme.

 

zu 2.

In dem ersten Artikel handelt es sich um einen Bericht aus dem Bergsträßer Anzeiger vom 25.07.1997 mit dem Titel:

"Hautnah Teamwork erlebt - Lehrer-Seilschaft übte Kooperation - Wichtige Erfahrung".

In diesem Artikel wird von einer erlebnisorientierten Maßnahme berichtet, die sieben Lehrer zweier Schulen unter Anleitung von zwei Sozialpädagogen durchgeführt haben.

Davon ausgehend, daß Teamfähigkeit eine gefragte Kompetenz ist und als Schlüsselqualifikation ganz oben auf der Liste der Lernziele steht, war das gemeinsame Erfahren von "Teamwork" das Ziel dieser Maßnahme.

Einen Nachmittag lang wurden den Pädagogen auf einem Gelände, auf dem sich drei 15 m hohe Türme, Strickleitern, Holzstämme, Hängeleitern, Netze und Seile befanden, immer wieder neue Aufgaben gestellt, die deren Kooperationsfähigkeit erforderte:

"Die Gruppe mußte sich von einem "sinkenden Schiff" retten oder auch aneinander gebundene Hindernisse überklettern, sich in gewagte Höhen emporarbeiten oder sich auch einfach rückwärts mit verbundenen Augen aus einiger Höhe in die Arme der Gruppenmitglieder fallen lassen. Bei all diesen Erfahrungen ging es nicht um stundenlanges Analysieren, sondern um direkte Erlebnisse, bei denen den Teilnehmern der Bezug zu ihrem beruflichen Alltag wie Schuppen von den Augen fiel."

Umgesetzt wurden diese eigenen Erfahrungen dann in einer Projektwoche mit Schülern zum Thema "Abenteuerspiele und Klettern", die Vertrauensübungen, Kooperationsspiele und Grenzsituationen beinhaltete.

 

In dem zweiten Artikel handelt es sich um einen Ausschnitt aus der Odenwälder Zeitung vom 21.02.1997 mit dem Titel:

"59.000,00 DM für einen einzigen Jugendlichen"

Landtagsabgeordneter von Hunnius kritisiert allzu weite erlebnispädagogische Reisen.

In diesem Artikel wird eine politische Diskussion um eine vom Kreis Bergstraße durchgeführte erlebnispädagogische Reise nach Australien, zur Resozialisierung eines straffällig gewordenen Jugendlichen, diskutiert.

Die Kosten für diese Maßnahme beliefen sich auf 58.600,00 DM. Die Reise dauerte ein halbes Jahr. Der Kreis Bergstraße machte mit dieser Maßnahme von einem Angebot des Christopherus Jugendwerks aus Freiburg Gebrauch. Diese Einrichtung stellte auch den mitreisenden Pädagogen.

In diesem Artikel stehen sich im wesentlichen zwei Positionen gegenüber:

Zum einen wird darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung handelt, die nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz abgedeckt ist; zum anderen fragt die Landes-FDP: "..., ob der beabsichtigte pädagogische Zweck nicht vielleicht auch im Rahmen einer Reise in eine weniger entfernte Weltgegend hätte erreicht werden können. Es dränge sich der Verdacht auf, daß sich in diesem Fall die pädagogischen Erwägungen mit den touristischen Interessen des Betreuers gepaart hätten. Dem Steuerzahler sei es, besonders in der aktuellen Situation, nicht zu vermitteln, wenn in dieser leichtfertigen Weise mit öffentlichen Mitteln umgegangen wird."

Der Grundtenor dieses Artikel lautet, daß diese Maßnahme für einen einzigen Jugendlichen sehr fragwürdig ist, weil sie zu teuer war.

 

zu 3.

Ganz eindeutig muß festgestellt werden, daß der erste Artikel sich ausschließlich positiv mit einer erlebnispädagogischen Maßnahme auseinandersetzt.

Die Maßnahme wird inhaltlich vorgestellt.

Bei der Vorstellung findet eine Gliederung nach Grundvoraussetzung, Erwartung, Inhalt und Ziel der Maßnahme und die Übertragung der dort gesammelten Erfahrung in die alltägliche Arbeit statt.

Die Maßnahme wird nicht in Zweifel gezogen. Es ist im Gegenteil so, daß, vervollständigt durch ein Foto, bei mir der Eindruck entstanden ist, daß das Lehrerimage durch die mit dieser Maßnahme gezeigte Kreativität und Aktivität, aufpoliert wurde.

Die Kosten für diese Maßnahme wurden nicht erwähnt.

 

In dem zweiten Artikel wird ein Anbiedern an den Leser praktiziert. Allein schon die Überschrift ist dazu geeignet, Sozialneid hervorzurufen.

Dieser Sozialneid findet sich auch in den mir vorliegenden Leserbriefen zu dieser Jugendhilfemaßnahme wieder.

Artikel zu dieser Maßnahme sind nicht nur in der regionalen Zeitung erschienen, sondern auch in den überregionalen Zeitungen.

So hat ein Bericht in der FAZ in drei Leserbriefen am 27.07.1997 sein Echo gefunden. In einem Leserbrief wird die erlebnispädagogische Maßnahme als Belohnung für einen schwerstkriminellen und schwersterziehbaren Jugendlichen nach Hundert Straftaten bezeichnet und gemutmaßt, daß dies ein Anreiz für Jugendliche Rechtsbrecher sei.

In einem anderen Leserbrief fragt ein Vater von vier Kindern: "Welche Straftaten soll ich meinen Kindern empfehlen, die bei dem begrenzten Einkommen ihres Vaters auf anderem Weg kaum nach Neuseeland oder Australien kommen werden?

Ist die Reise von der Zahl der Straftaten abhängig? Wie sieht die Mengenstaffel aus: beispielsweise 100 x Ladendiebstahl = Mittelmeer oder 5 x schwerer Raub = Übersee? Ich würde gerne gemeinsam mit meiner Familie verreisen. Ist es dafür erforderlich, auch gemeinsam auf Raubzug zu gehen, oder kann ein Teil meiner Delikte zu Gunsten meiner Frau und Jüngsten angerechnet werden, damit diese während der Einbrüche des Vaters zu Hause bleiben können? Kann man mir einen Katalog mit den zur Verfügung stehenden Reiseziele recht bald schicken, damit ich die entsprechenden Schritte rechtzeitig für die Saison 1998 einleiten kann?"

Durch diesen Leserbrief wird deutlich, daß mit dem Artikel ein sehr empfindlicher Nerv der Leser getroffen wurde.

Im Vergleich zu dem ersten Artikel wurde hier in keiner Weise der Sinn und die Notwendigkeit dieser Maßnahme diskutiert oder inhaltlich dargestellt, sondern sie ausschließlich unter einem Kostengesichtspunkt betrachtet.

Ich denke, daß diese verstärkte Berücksichtigung des finanziellen Gesichtspunktes eine typische Darstellung in Zeiten leerer Kassen ist.

Ich bin der Meinung, daß sicherlich die Kosten ein Kriterium für die Durchführung einer erlebnispädagogischen Maßnahme sind, und daß es diesbezüglich offenbar zu Mißbrauch kommt. Ich halte es jedoch für sehr bedauerlich, wenn damit grundsätzlich alle Maßnahmen in Frage gestellt werden.

 

zu 4.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Frage aufwerfen, warum leisten sich Firmen erlebnispädagogische Maßnahmen für Mitarbeiter bis hoch ins Management? Welche Interessen stecken dahinter?

Parallel zu der kritischen Auseinandersetzung mit erlebnispädagogischen Maßnahmen für Jugendhilfe und Straffällige ist zu beobachten, daß immer mehr Firmen für ihre Mitarbeiter die Erlebnispädagogik entdeckt haben. In diese Form von Fortbildung wird viel Zeit und Geld investiert.

Ich gehe davon aus, daß in modernen Unternehmen Teamarbeit eine immer zentralere Rolle spielt; wie auch in dem Artikel bzgl. der erlebnispädagogischen Maßnahme der Lehrer beschrieben, ist Teamfähigkeit eine immer gefragtere Kompetenz.

Im Vergleich zur Einzelarbeit bietet die Teamarbeit unübersehbare Vorteile für die Firmen. Der Informationsfluß zwischen einzelnen Mitarbeitern wird verbessert, das Team wirkt als Korrektiv und Ansporn für den Einzelnen, Teamarbeit fördert das Erkennen und Erreichen von gemeinsamen Zielen, Mitarbeiter setzen sich verstärkt für die Unternehmensziele ein und zeigen eine größere Verantwortungsbereitschaft, es findet eine verstärkte Identifizierung mit dem Unternehmen statt.

Diese Teamarbeit muß jedoch gelernt werden.

Eine Möglichkeit hierzu sehen viele Betriebe in einem Outdoortraining. Die Teilnehmer einer solchen Maßnahme werden mit ihrer gesamten Persönlichkeit gefordert und sind gezwungen die eingefahrenen, häufig über viele Jahre erworbenen sozialen Verhaltensweisen innerhalb eines Betriebes aufzugeben.

In den Outdooraktivitäten ist es erforderlich, daß gemeinsam an einem "Strang" gezogen werden muß, um das Ziel zu erreichen. Wichtig ist jedoch auch hier, daß die praktischen Erfahrungen reflektiert und auf die Alltagssituation übertragen werden können.

Ich selbst habe auch eigene persönliche erlebnispädagogische Erfahrungen gemacht, die für mich noch heute von Bedeutung sind.

Das Besondere an diesen Erfahrungen war das Erleben von verläßlichen zwischenmenschlichen Beziehungen, die Erweiterung meines eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsradius und die Relativierung und Reflektierung des von mir bisher Erlebten.

Ich habe erlebnispädagogische Maßnahmen als eine Bereicherung und Prägung erlebt, die mich bis zum heutigen Tage beeinflussen und die ich versuche weiterzugeben.

Ich muß zugeben, daß ich mich im Rahmen der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe nur sehr zögerlich an erlebnispädagogische Arbeiten herangewagt habe.

Meine Befürchtung war, daß ich durch das gewünschte Ergebnis der größeren Offenheit der Probanden Informationen erhalten könnte oder in Situationen komme, die mich auf Grund meiner Beitragspflicht und des nicht vorhandenen Zeugnisverweigerungsrechtes in einen Gewissenskonflikt bringen.

Ich wollte nicht gezwungen werden, das mir entgegenbrachte Vertrauen der Probanden zu mißbrauchen.

Auch mußte ich mit solchen Aktivitäten den Rahmen der verbalen Kommunikation, der mit vertraut ist, in dem ich mich meinen Teilnehmern überlegen fühlte, verlassen und auf eine für mich fremde und neue Umgangsform einlassen.

Ich hatte die Befürchtung, daß ich dann einen Teil meiner Leiterautorität verlieren, eventuell an einzelne Gruppenmitglieder abgeben müßte.

Nachdem ich mich aber mit diesen Ursachen für meine Befürchtungen auseinandergesetzt habe, bin ich das Wagnis eingegangen. Aus den positiven Erfahrungen die ich dann machte, zog ich die Konsequenz, daß ich in meiner zukünftigen Gruppenarbeit verstärkt erlebnispädagogisch arbeiten werde. Ich habe erfahren, daß die Probanden Möglichkeiten besitzen, die sie mir bisher nicht offenbaren konnten.

Ich habe Ressourcen bei ihnen entdeckt, die ich nie vermutet hätte:

-           Probanden, die ich bisher als verschlossen und abweisend in den Gesprächen erlebt habe, blühten bei der Bearbeitung des Gartens eines Probanden förmlich auf und zeigten Organisationstalent und eine Fähigkeit zu strukturieren, die mich ins Staunen versetzte.

-           Ein Proband, der bisher keine Bereitschaft zeigte, sich mit seiner Sexualstraftat auseinanderzusetzen, beginnt nach einer öffentlichen Diskussion mit dem hessischen Justizminister über die Situation der Opfer von Straftaten, über die Ängste der von ihm vergewaltigten Frau nachzudenken.

-           Bei einer eintägigen Wanderung achten alle Teilnehmer darauf, daß keiner verlorengeht, sondern alle zusammenbleiben.

 

Die Wirksamkeit solcher erlebnispädagogischer Maßnahmen, sind jedoch entscheidend davon abhängig, inwieweit die Umsetzung des Erlebten in die alltägliche Situation gelingt. Dazu ist es zwingend erforderlich, daß das Erlebte in Gesprächen reflektiert wird.

Der grundsätzliche Unterschied zwischen Erlebnispädagogik und Abenteuerurlaub liegt für mich in dem Analysieren der Ausgangssituation, der daran orientierten inhaltlichen Gestaltung der Maßnahme, der sozialpädagogischen Begleitung, dem Erfahren und realistischen einschätzen der eigenen Person, der Möglichkeit, über sich und die eigene Lebenssituation zu reflektieren und die gemachte Erfahrung in Alltagssituationen umzusetzen.

Dieses ist eher möglich, wenn man den gewohnten Rahmen verläßt, etwas Neues wagt, eventuell in fremde Länder geht. Aber auch innerhalb der BRD gibt es Möglichkeiten (z.B. Wanderung auf dem Jakobspfad), die angestrebten Inhalte und Ziele der Erlebnispädagogik erlebbar zu machen.

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